© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/20 / 12. Juni 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Klatsche für Seehofer
Christian Vollradt

Auch Mitgliedern der Bundesregierung steht es frei, die Fehler anderer zu wiederholen. Die Quittung dafür bekam am Dienstag Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in Karlruhe. Da attestierte ihm das Bundesverfassungsgericht, er habe gegen das Gebot staatlicher Neutralität verstoßen und damit die Rechte der AfD auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb verletzt. 

Im Herbst 2018 hatte der CSU-Politiker in einem Interview mit der dpa der Konkurrenzpartei AfD vorgeworfen, sie stelle sich gegen diesen Staat, sei gar staatszersetzend, tue nur demokratisch, sei es in Wahrheit aber nicht, und deshalb müsse man ihr stärker entgegentreten (JF 7/20).

Diese Äußerungen, so die obersten Richter, seien „als Teilnahme am politischen Meinungskampf verfassungsrechtlich zwar nicht zu beanstanden“. Weil das Interview allerdings auch – genau einen Monat vor der bayerischen Landtagswahl – auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums wiedergegeben wurde, habe Seehofer „auf Ressourcen zurückgegriffen, die ihm allein aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen“ – und sie so mißbraucht. Für Karlsruhe steht fest, daß der verfassungsrechtlich verbürgte Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien immer dann verletzt ist, wenn Inhaber eines Regierungsamtes dessen Autorität und die mit ihm verbundenen staatlichen Mittel und Möglichkeiten „in spezifischer Weise nutzen, um zielgerichtet zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern am politischen Meinungskampf mitzuwirken“.

Der so gerüffelte Ressortchef hätte gewarnt sein können. Bereits im Februar 2018 hatten die Karlsruher Richter der damaligen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) ins Stammbuch geschrieben, es sei mit der Verfassung grundsätzlich nicht zu vereinbaren, wenn sich Staatsorgane „unter Mißachtung des Neutralitätsgebots einseitig mit einer Kundgebung oder der diese veranstaltenden Partei auseinanderzusetzen“. Stein des Anstoßes damals war ein Statement Wankas, in dem sie eine Demonstration der AfD und deren Kritik an Kanzlerin Merkel harsch gegeißelt hatte – und das auf der Internetseite des Bildungsministeriums veröffentlichen ließ. Für die Richter war klar: Die negative Bewertung durch staatliche Organe entfalte abschreckende Wirkung, könne also das Verhalten potentieller Veranstaltungsteilnehmer beeinflussen und greife in das Recht der Partei auf Chancengleichheit (Artikel 21 des Grundgesetzes) ein.

Bei der mündlichen Verhandlung zum aktuellen Fall hatte Seehofers Vertreter, Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU), im Februar noch argumentiert, der Minister sei mit seiner Äußerung eben nur „authentisch“ geblieben, denn das bayerische Polit-Urgestein habe sich in seiner gesamten politischen Biographie „immer gegen radikale Kräfte abgegrenzt“. Die roten Roben zogen hingegen eine andere Grenze: die zwischen zulässig (Öffentlichkeitsarbeit der Regierung) und verfassungswidrig (Einflußnahme gegen den Wettbewerber). Für den Verfassungsschutzminister eine herbe Klatsche.