© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/20 / 12. Juni 2020

Nachhaltige Kommunen nach Corona
Finanzpolitik: Ein Vier-Säulen-Modell als Alternative zur pauschalen Entschuldung von Städten und Gemeinden
Dirk Meyer

Der Begriff Nachhaltigkeit entstammt der Forstwirtschaft. Es ist ein Weg, um die Welt im Gleichgewicht zu halten. Die Corona-Pandemie hat nun zu vielfältigen Verwerfungen geführt – auch bei den Finanzen von Städten und Gemeinden. Diese werden durch die Ausfälle bei der Gewerbesteuer (41 Prozent Anteil am kommunalen Aufkommen) oder höheren Sozialausgaben hart getroffen. Der Steuerausfall wird dieses Jahr auf 11,8 Milliarden Euro (minus 25 Prozent) geschätzt. Das 130 Milliarden Euro schwere „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ der Bundesregierung soll hier eine gewisse Entlastung bieten.

2017 belief sich der Schuldenstand der Städte und Gemeinden in den Flächenländern auf 137,5 Milliarden Euro. Kurzfristige Kassenkredite in Höhe von 45 Milliarden Euro haben die Löcher bei den laufenden Ausgaben gestopft. Die Investitionskredite werden hingen als werthaltig angesehen. Betroffen sind etwa 2.000 Kommunen, wobei etwa 650 Gemeinden Liquiditätskredite von mehr als 1.000 Euro je Einwohner haben – betroffen sind vor allem das Saarland, Rheinland-Pfalz, NRW und Hessen (IW-Report 27/19). Im Gegensatz zu den Corona-Folgen sind die Ursachen der Altschulden vielfältig: struktureller Wandel in der Industrie, der Abzug von US-Militär, soziale Brennpunkte und Zuwanderung oder mangelnde Finanzaufsicht der Länder. Mülheim an der Ruhr war 2017 mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 9.791 Euro Spitzenreiter. Es folgten Oberhausen (9.663), Saarbrücken (8.806), die BASF-Stadt Ludwigshafen (8.243), Trier (7.853), Hagen (7.833) und Offenbach (7.587).

Finanzminister Olaf Scholz wollte mit 57 Milliarden Euro Entschuldungshilfen – hälftig von Bund und Ländern finanziert – gleich beide Probleme lösen. Das Projekt der Altkreditentschuldung ist im Koalitionsausschuß gescheitert, denn es würde gegen die föderale Eigenfinanzierung verstoßen und Fehlanreize setzen: In Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen spielen Kassenkredite kaum eine Rolle. Der Föderalismus ist aus guten Gründen im Grundgesetz festgeschrieben: Dezentralität heißt Bürgernähe, Vielfalt gestattet Fehler ohne große Fehlerkosten, und eine horizontal-vertikale Teilung bedeutet Dekonzentration von Macht. Die EU reiht sich hier übrigens ein, indem die Staaten weiterhin die „Herren der Verträge“ sind – was mitunter seitens europäischer Organe in Frage gestellt wird.

Ein föderaler Grundsatz besteht in der Übereinstimmung von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen. Doch derzeit gelten Kommunen im Verhältnis zu ihren Aufgaben als strukturell unterfinanziert. Dies könnte das „Vier-Säulen-Modell“ der Stiftung Marktwirtschaft zu den kommunalen Einnahmen nachhaltig lösen. Eine einfache Erhebung, stetige Einnahmen, hohe Akzeptanz seitens der Steuerzahler und keine Substanzbesteuerung sind Hauptziele des Vorschlages.

Eine Bürgersteuer schafft mehr Ausgabentransparenz

Alle Nutzer kommunaler Infrastruktur sollen gemäß den erlangten Vorteilen zur Finanzierung herangezogen werden: Grundbesitzer, lokale Firmen und Bewohner. Ein Hebesatzrecht, mit dem das Steuerniveau variiert werden kann, fördert die Eigenständigkeit der Kommunen und bietet Handlungsspielräume.

Die erste Säule ist eine reformierte Grundsteuer. Sie bietet ein konjunkturunabhängiges, stetiges Aufkommen und besitzt einen engen Bezug der Nutzer (Eigentümer oder Mieter) zu den kommunalen Leistungen wie Straßen, Schulen etc. Zudem kann ihr aufgrund der Ortsgebundenheit der Besteuerungsgrundlage – Grundstücke/Gebäude – kaum ausgewichen werden.

Eine zweite Säule bietet eine Bürgersteuer, die einkommensabhängig erhoben wird. Derzeit bekommen die Gemeinden und Städte 15 Prozent der Lohn- und Einkommensteuer, zwei Prozent des Umsatzsteueraufkommens sowie zwölf Prozent der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge – ohne daß dies dem Bürger bewußt ist. Eine Bürgersteuer könnte als offen ausgewiesener Zuschlag zu einer um den Gemeindeanteil reduzierten Einkommensteuer Transparenz und einen Bezug zu dem örtlichen Versorgungsangebot schaffen. Teure Infrastrukturen, wie der Neubau eines Freizeitbades oder ein neues Straßenbahnnetz, würden entsprechend hohe Zuschläge notwendig machen. Damit erhält der Bürger mehr Kontrollrechte im Gemeinderat. Zudem würde das Interesse an Gewerbeansiedlungen steigen, da diese tendenziell die Zuschläge senken würden.

Die dritte Säule ist eine kommunale Unternehmenssteuer, die an die heutige Gewerbesteuer anknüpft. Allerdings sollen für Kapital- und Personengesellschaften einheitliche Regelungen bestehen, denn letztere werden derzeit durch einen Freibetrag begünstigt. Auch eine im internationalen Steuerwettbewerb komplexe und nachteilige Berücksichtigung der Gewerbesteuer bei der Einkommensbesteuerung soll entfallen. Unter Einbezug von Freiberuflern und Selbständigen könnte die Steuerbasis verbreitert und deshalb die Steuersätze reduziert werden. Ein Hebesatzrecht würde der Kommune zusätzliche Spielräume eröffnen.

Die vierte Säule ist eine Betriebslohnsteuer, die an die Lohnsumme der in der Kommune ansässigen Betriebe anknüpft. Alle Produktionsstätten, auch die, die bislang nicht der Gewerbesteuer unterlagen, tragen so zur Finanzierung der gemeindlichen Infrastruktur bei. Sie wäre relativ aufkommensstabil – im Gegensatz zur kommunalen Unternehmenssteuer, deren Aufkommen von der Gewinn-/Verlustsituation abhängt. Die Kommunen erhalten hiermit Anreize, insbesondere arbeitsintensive Betriebe anzusiedeln. Die Corona-Krise eröffnet die Möglichkeit zu einer grundsätzlichen und nachhaltigen Reform der Gemeindefinanzen. Daher ist dieser Vorschlag einer näheren Prüfung wert.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

„Das Vier-Säulen-Modell 2020“: stiftung-marktwirtschaft.de





Corona-Krisenbewältigungspaket

Das 130 Milliarden Euro schwere „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ der Bundesregierung enthält zum Beispiel eine Mehrwertsteuersenkung, einen 300-Euro-Kinderbonus, 6.000 Euro für Käufer eines bis zu 46.400 Euro teuren E-Autos oder die „Kulturmilliarde“ für „Mehrbedarfe von Einrichtungen und Projekten und die Förderung alternativer, auch digitaler Angebote“. Der Bund wird von überschuldeten Städten und Gemeinden zwar keine Altschulden übernehmen, aber dauerhaft weitere 25 Prozent der Grund- und insgesamt bis zu 75 Prozent der Unterkunftskosten von Sozialgeld- und Hartz-IV-Beziehern sowie Asyleinwanderern zahlen. Mit einem „Kommunalen Solidarpakt 2020“ sollen zudem „die aktuellen krisenbedingten Ausfälle der Gewerbesteuereinnahmen kompensiert“ werden. Dazu gewähre der Bund im laufenden Jahr den Gemeinden „gemeinsam mit den zuständigen Ländern hälftig finanziert einen pauschalierten Ausgleich“. Bei dem KfW-„Investitionskredit Kommunale und Soziale Unternehmen“ wird die Deckelung auf 50 Millionen Euro aufgehoben. (fis)