© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/20 / 12. Juni 2020

Schmeckt gut, ist gesund, macht aber viel Arbeit
Trend zum Selbstversorgen: Mit der eigenen Scholle wird man zwar nicht gänzlich autark, ist aber für Krisenzeiten besser gerüstet
Martina Meckelein / Zita Tipold

Spätestens seit der Krise um das neuartige Coronavirus blicken immer mehr hippe Städter neidisch auf in Beeten buddelnde Gartenbesitzer. Eine eigene Scholle mit fettem Mutterboden – wer das sein Eigen nennt, kann zwar nicht König von Deutschland, aber eigener Herr auf seinem Grund und Boden sein und in den selbstgezogenen Apfel beißen. Unabhängig von Großhandelsketten und Supermärkten. Laut Statista gaben 2019 in einer Umfrage 36,2 Millionen Personen über 14 Jahre an, einen Garten zu besitzen oder in einem Haushalt mit Garten zu leben. Das ist eine Steigerung zum Vorjahr von einer Million Menschen. Eine, die sich diesen Traum erfüllt hat, ist Kriminalhauptkommissarin Carmen Riedel.

„Autark bin ich zwar noch lange nicht, Klopapier wächst bei mir schließlich nicht am Baum, aber ansonsten habe ich mir durch meinen eigenen Garten ein Stück Freiheit und Selbständigkeit erarbeitet“, sagt die Polizistin. Das tausend Quadratmeter große Stück Land mit einem kleinen Nachkriegsbau, am Rande des Thüringer Waldes gelegen, hatte sie 2008 erworben. „Damals herrschte die Finanzkrise, die Immobilienpreise waren in den Keller gefallen, nur so konnte ich es mir leisten. Es war eine Absicherung fürs Alter, aber der Garten sollte in Zukunft auch mich mit dem Nötigsten versorgen können.“

„Mit der Spitzhacke mußte ich den Boden umgraben. Wir leben hier in 400 Metern Höhe. Der Boden besteht aus Fels und Stein.“ Die hohen Fichtenhecken ließ sie abholzen. „Die nehmen Licht und machen den Boden sauer. Da geht auch kein Vogel rein, die haben nichts zu naschen.“ Heute stehen und blühen Wildrose, Sand- und Weißdorn, Schlehe, Zaubernuß, Kornelkirsche und Felsenbirne. „Ich sage immer, daß man an später denken muß. Wir werden schließlich alle älter. Naturhecken sind das Mittel der Wahl, weil pflegeleicht.“

Die Polizeibeamtin hat die Liebe zur Landwirtschaft im Blut. „Mein Vater war zwar Bergmann, aber viele in seiner Familie waren Landwirte. Und zu DDR-Zeiten hatten wir einen Schulgarten. Da lernten wir: Wie pflanze ich, wie pflege ich und wie ernte ich?“ Das hatte auch den einfachen Hintergrund, daß es durch die Planwirtschaft im Konsum nebenan zwar immer Kohl und Äpfel gab, „aber doch nur sehr selten Erdbeeren oder Kirschen“, erinnert sich Riedel. Heute wachsen in ihrem Garten Rosen-, Weiß- und Rotkohl, Bohnen, Kartoffeln, weiße, rote und gelbe Rüben und natürlich Erdbeeren und Kirschen. Ein langer Weg dorthin.

Heute ist das Internet voll mit Tips für Selbstversorger. Wer nur dieses Stichwort eingibt, bekommt 2,8 Millionen Ergebnisse geliefert. 2008 nahm Riedel einen anderen Weg. „Ich begann damals Bücher zu lesen. Aber der beste Tip ist, so würde ich rückblickend sagen, nicht so viel lesen, einfach machen und ausprobieren.“

Riedel entschied sich dafür, alte Kulturpflanzen anzubauen. „Sie sind ebenfalls Kulturgut, das es zu erhalten gilt. Außerdem sind sie an unsere Lagen besser angepaßt. In der modernen Landwirtschaft werden sie nicht mehr produziert, sie sind nicht so ertragreich und auch nicht so lange lagerfähig. Darüber hinaus oftmals zu klein für die Pommes-Industrie, die wollen nur große Knollen verarbeiten.“ Riedel redet von ihrem Ackergold: den Kartoffeln. Übers Internet kann man auch seltene Sorten kaufen. Riedel entschied sich für das Bamberger Hörnchen: die älteste deutsche Kartoffelsorte, die nach einer Fäuleepidemie 1850 eingeführt worden sein soll. Sie ist widerstandsfähig, aber nicht sehr ertragreich.

Zwanzig Kilo hat Riedel vergangene Saison geerntet. „Sie ist klein und etwas länglich, hat aber einen tollen Geschmack. Ich probierte auch mal den Blauen Schweden, aber der schmeckte mir nicht. Überhaupt haben wir in unserer Lage natürlich ein Problem mit der Kartoffel. Uns fehlt der sandige Boden. Hier ist es steinig, und wir haben wenig Regenfälle, er eignet sich eher für die extensive Landwirtschaft. Der Ertrag ist auch deshalb nicht so hoch, weil die Kartoffel sehr nährstoffzehrend ist.“

Anbauen, Einwecken – alles will gelernt sein

Bei den heutigen Selbstversorgern steht Nachhaltigkeit und Umweltbewußtsein ganz oben auf der Prioritätenliste. Der Dünger darf nicht künstlich sein, der Schädling nicht von der chemischen Keule erschlagen werden. „Ich habe nichts gegen Dünger, aber ich setze keinen Kunstdünger zu“, sagt Riedel. „Ein Komposthaufen gehört in jeden Garten, den Pferdemist holst du vom Reiterhof oder Kuhdung vom Bauern. Alles durchrotten lassen, die Regenwürmer kommen von allein, fertig ist der beste Naturdünger. Und dann alles auf die Beete.“ Kartoffelkäfer werden abgesammelt, genauso wie Nacktschnecken. Um besonders bedrohte Beete legt Riedel Stroh oder steckt einen Zaun aus Kupferdraht.

Der Selbstversorger muß jetzt auch noch Kenntnisse und Fertigkeiten in der Lagerung seiner Ernte erwerben: einwecken, trocknen oder in Erdmieten über den Winter bringen. „Von Erdmieten bin ich abgekommen, ein Loch von einem Meter Tiefe in meinen Garten zu graben ist eine nicht so leichte Aufgabe.“ Sie setzt ihre Kartoffeln zweimal im Jahr. Lauch vom vergangenen Jahr erntet Riedel Anfang April. Ihre 50 Kilo Tomaten hat sie zu Ketchup verarbeitet oder einen Teil der Ernte verschenkt.

Apropos einkochen. In Riedels Haus steht ein großer Holz- und Kohle­ofen. Mit Kochplatten und Backofen. „Im Winter heizen wir ausschließlich mit ihm. Holz gibt es zur Zeit, gerade nach diesem trockenen Sommer, wie Sand am Meer.“

Lohnt sich diese Selbstversorgung? Es gibt unzählige Berechnungen dazu im Netz. Riedel sieht es pragmatisch. „Ich glaube nicht, daß ich wirklich etwas einspare. Als ich jünger war und weniger verdiente, konnte ich nur nach dem Preis kaufen – billig mußte es sein. Heute sage ich mir, das Leben ist zu kurz für schlechtes Essen. Aber im Grunde geht es doch nur darum: Entweder bist du so ein Schrebergartentyp, oder du bist es eben nicht. Ich mag es, in der Erde zu wühlen, das erdet dich nämlich.“


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Aus der beackerten Erde wachsen nicht nur bei Carmen Riedel Kräuter. Kräuter blühen, duften und ziehen Käfer, Schmetterlinge und Bienen an. Sie verleihen dem Essen die gewisse Würze, können von Halsschmerzen oder innerer Unruhe befreien. Schnittlauch, Petersilie, Minze und Rosmarin gehören nicht nur in Omas Garten, sondern in jeden guten Haushalt – am besten mit Wurzeln.

„In Deutschland werden laut der Bodennutzungshaupterhebung 2019 auf etwa 8.000 Hektar Fläche erwerbsmäßig Heil-, Duft- und Gewürzpflanzen angebaut“, so ein Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Sie werden hauptsächlich für Medikamente, zum Verzehr oder zur Parfümherstellung verwendet.“

Kräuter sind also nicht nur gesund und schön anzusehen. Sie sind auch ein Wirtschaftsfaktor. Familie Gentz führt seit 1991 eine Gärtnerei in Werder an der Havel. Zum Sortiment des Familienbetriebs gehören viele verschiedene Kräuter. „Am beliebtesten sind Küchenkräuter“, sagt Inhaber Jürgen Gentz der JF. Der studierte Gartenbauer weiß, worauf man beim Kauf eines Kräutertopfes achten sollte: „Die Pflanze sollte frisch und vital aussehen. Angeschlagen aussehende Exemplare sind keine gute Wahl und meist nicht mehr zu retten.“

Die Kräuter im Supermarkt lassen oft den Kopf hängen und gehen nach wenigen Tagen ein. Sie werden nur für den baldigen Verzehr gepflanzt, und in den kleinen Töpfchen sind Nährstoffe zu knapp.

Deshalb sei es wichtig, die Bedürfnisse der Pflanze zu beachten. „Der Untergrund muß richtig gewählt sein. Mittelmeerkräuter mögen keine Staunässe, deshalb sollte man grobe, durchlässige Erde verwenden.“ Wer Basilikum umtopft, der wird staunen, wie schnell sich dieser vermehrt und mit etwas Sonnenlicht und Wasser am Tag herrlich duftet und gedeiht. In einem schönen Topf eignen sich Kräuter wie Lavendel und Goldmelisse auch als Geschenk. Sie verzaubern mit ihrer leuchtenden Blütenpracht und können duften, Würze geben oder als leckerer Aufguß dienen. Wer die blühenden Kräuter ins Freie stellt, wird bald ein lebendiges Insektentreiben beobachten können.

Und auch die Gesundheit profitiert. „Die Natur ist die beste Apotheke“, lehrte schon der Priester und Naturheilkundler Sebastian Kneipp, der im 19. Jahrhundert lebte. Die Blätter und Blüten vieler Kräuter dienen als günstiges Hausmittel. Die wohltuende Wirkung von Heilpflanzen ist heute noch durch Salbeibonbons, die Halsschmerzen lindern, oder Baldriantee, der ein unruhiges Gemüt besänftigt, bekannt. Leider ist in vielen solcher Helferlein kaum noch heilendes Kraut zu finden, dafür viele künstliche Aromen und Zucker. Mit den Kräutern aus dem eigenen Anbau hat der Konsument die Kontrolle darüber, was er da tatsächlich zu sich nimmt.

Selbstversorgung hilft uns, ein kleines Stück Unabhängigkeit zurückzuerobern und uns zudem wieder mit der Natur vertraut zu machen. Wie die Kräuter-, so müssen die Natur- und Heimatkunde gepflegt und lebendig gehalten werden, damit es in ein paar Jahren nicht heißt: Der Rosmarin? Kommt aus der Streudose!





Selbstversorger

Zum Thema Selbstversorger gibt es überbordend viel Literatur. Zum Einlesen zu empfehlen: John Seymour: „Selbstversorgung aus dem Garten“. Oder: Dick und James Strawbridge: „Das große Buch der Selbstversorgung“. Eine ausgezeichnete Informationsquelle ist die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822 e. V. (DGG), die sich als eine Art Lobbyvereinigung versteht, die die Bedeutung des Gärtnerns der Politik nahebringen will. Wer es praktischer mag, sollte die Internetseiten des Naturschutzbundes (Nabu) besuchen. Der hat darüber hinaus in fast jeder Stadt einen Naturgarten und Tips von Experten. (mec)