© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/20 / 12. Juni 2020

Demokratie ohne Demokraten geht nicht lange gut
Sie bröckelt von innen
Dushan Wegner

In diesen Zeiten wäre es dem aufmerksamen Beobachter eben dieser Zeiten kaum vorzuwerfen, wenn er sich zeitweise wie ein Außerirdischer fühlte, ein Wesen vom anderen Stern, ein Auf-der-Erde-Gelandeter, verwundert und etwas ratlos darüber, was um aller Galaxien willen da passiert auf diesem kleinen blauen Planeten, fest verankert inmitten der Galaxie.

Wenn der Außerirdische, anders als in Hollywood-Filmen, in Deutschland gelandet wäre und über unser Land schaute, wie würden wir ihm die Vorgänge erklären?

Wir würden von „Demokratie“ sprechen, und er würde zurückfragen, was das denn sei, und wir würden ihm sagen, daß das die beste Regierungsform überhaupt sei, und er würde fragen: „Warum?“ – und wir würden das Thema wechseln, wir würden zurückfragen, ob sein Ufo auch mit Ökostrom läuft.

Was ist denn die Antwort zum „Warum“ der Demokratie? Nun, die erste Antwort wäre: „Man muß, sonst gibt es Ärger!“ – Ist sie überhaupt wahr?

Teils ja: Selbst wer im Herzen tatsächlich etwa ein Monarchist ist (könnte man es ihm wirklich verübeln?), wird dies öffentlich höchstens wiederum im Scherz äußern. In Deutschland ist es für einen Teil der Bevölkerung gefährlich, sich auch nur hypothetisch gegen die Demokratie auszusprechen.

Teils nein: Wenn man linksextrem ist und auch ansonsten „Haltung“ beweist, kann man offen demokratiefeindlich sein und doch Karriere machen.

Wer nicht „links“ und „einer von den Guten“ ist, der würde seine Karriere und möglicherweise seine Einkünfte vernichten, wenn er sich gegen Demokratie ausspräche – ist das allein aber ein Argument für die Sache?

Wird das den Außerirdischen überzeugen? Kaum. Niemand wird auf seinem Heimplaneten die Demokratie einführen, weil sonst eine deutsche Behörde ihm Ärger machen könnte.

Die Demokratie hat das, was Politiker regelmäßig herbeizitieren, wenn der aktuelle Zustand einer Sache ihnen wenig rühmlich erscheint – eine „reiche Geschichte“. Wir referieren dem Außerirdischen also eine kurze Geschichte der Demokratie. Wir erzählen ihm vom „Demos“ der griechischen Stadtstaaten und dem Volk, das über sich selbst zu herrschen habe, und wir erklären unserem Gast, daß damals mit „Volk“ nur Männer gemeint waren, und unter denen nur die, die keine Sklaven waren – klar.

Das graue Männchen hört unserem Ritt durch die Geschichte der Demokratie zu, es hört vom Attischen Seebund und von aristotelischer Autonomie, von der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, bis hin zum Vormärz, und der Märzrevolution im Deutschen Bund, und der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche. Es erfährt von Gewaltenteilung und Widerstandsrecht, von der wehrhaften Demokratie, die doch wieder und wieder erstaunlich zerbrechlich wirkt.

Der Außerirdische hört sich unsere Argumente an und kommuniziert: „Ich habe nichts mit eurer Geschichte zu tun, und nach allem, was ich höre, will ich es wahrscheinlich auch nicht – was habt ihr noch anzubieten? Was nutzen euch die hehren Worte, wenn euer System von einem anderen System aufgefressen wird?“

Läßt sich ein Argument für die Demokratie entwickeln, dessen Grund in der Sache selbst liegt und nicht selbst wiederum in Autorität, sei es die Autorität der Behörden oder die der Geschichte?

Es wurden viele andere Begründungen für die Demokratie vorgelegt, etwa die der Legitimation der Regierung durch die Wahlen. Der belastbarste „Standortvorteil“ der Demokratie bleibt, daß sie Entscheidungen hervorbringen kann, die klüger als die eines einzelnen sind.

Wir sammeln unseren Mut. Wir schlucken herunter, daß den Außerirdischen all unsere Argumente aus der Geschichte und Werten wenig berührten, daß unser Herzblut ihn so kaltläßt wie die Tiefen des Weltalls kalt sind, und also formulieren wir vorsichtig neue, einfachere Thesen, etwa diese: Die Demokratie ist das System, das am ehesten erlaubt, daß die Entscheidung der Regierung klüger als die Weisheit des einzelnen ist.

Ein König in der (reinen) Monarchie wird von Beamten beraten, doch solange alle Entscheidungsketten bei ihm und den von ihm ausgewählten Vertretern zusammenlaufen, so lange wird das System bestenfalls in der Versuch-und-Irrtum-Methode auf Weisheit stoßen, die klüger als die Weisheit eines einzelnen ist.

Volksrepubliken – oder wie sich sozialistische Machtformen gerade nennen – haben mit Monarchien gemein, daß die Macht in den Händen derer gebündelt ist, die sie durch Gewalt und Intrigen zu gewinnen verstehen, und daß sie „höhere Weisheit“ auf Kosten vieler Menschenleben gewinnen (man beachte etwa die vielen Millionen Hungertoten in den großen chinesischen Hungersnöten, verschärft durch großangelegte Experimente der Kommunistischen Partei).

Die meisten Staats- und Regierungsformen, die ausgedacht wurden, haben ein sehr simples philosophisches Problem – sie ignorieren bereits im Ansatz die Fehlbarkeit des Menschen. Bestenfalls bauen Systeme gewisse Korrektive ein, doch wenn die ständige Korrektur nicht Teil des Fundaments ist, wird sie schnell zur Dekoration und Schmuckphrase in Sonntagsreden.

Die Demokratie in ihrer „idealen Reinform“ gelangt zu Entscheidungen, indem sie viele verschiedene Parteien hört („Parteien“ in mehrfacher Bedeutung des Wortes) und dann gemeinsam und demütig eine Entscheidung trifft, die größer und weiser ist, als ein einzelner sie je treffen könnte und die doch ständig überprüfbar ist und tatsächlich überprüft wird.

Es wurden viele andere Begründungen für die Demokratie vorgelegt, etwa die der Legitimation der Regierung durch die Wahlen – doch mit ein wenig propagandistischen Tricks läßt sich auch manche andere gefühlte Legitimation populär machen, etwa die Legitimation durch göttlichen Willen (Monarchie, Gottesstaaten) oder durch den Kampf gegen einen unsichtbaren Feind (immer wieder in der Merkel-Republik, etwa der „Kampf gegen CO2, „Kampf gegen Rechts“ oder „Kampf gegen Coronavirus“) – der belastbarste „Standortvorteil“ der Demokratie bleibt, daß sie Entscheidungen hervorbringen kann, die klüger als die eines einzelnen sind.

Und so sagen wir es dem Außerirdischen: „Ja, die Demokratie ist die einzige Regierungsform, in der Entscheidungen regelmäßig weiser und klüger sein können als die Weisheit und Klugheit des einzelnen oder einer kleinen Kommission!“

Der Außerirdische lächelt über all seine Tentakel, und er antwortet: „Ihr habt da ein Detail vergessen! Damit Entscheidungen in dieser eurer Demokratie wirklich weise sind, setzt es nicht voraus, daß die Wähler zumindest in der Lage sind, Weisheit und Klugheit zu erkennen? Würde eine Demokratie, wo die Mehrheit der Wähler nicht imstande ist, Klugheit von Arroganz zu unterscheiden, Moral von Larmoyanz, würde so eine Demokratie nicht tatsächlich schwächer sein als etwa eine Monarchie, die zufälligerweise klug ist?“

An dem Moment erkläre ich dann dem Außerirdischen, daß es keine Außerirdischen gibt – auch wenn sich mancher von uns gelegentlich heute so fühlen mag, wie einer, der auf einem fremden Planeten gelandet ist – woraufhin er zurück in die Nebel unserer möglichen Vorstellungen verschwindet. Unsere Zweifel aber bleiben.

Ich schreibe diese Zeilen, während in den USA plündernde Mobs die Innenstädte verwüsten. Antifa-Terroristen greifen brutal Menschen und Kleinunternehmen an, und es scheint recht offen ihr Ziel zu sein, die Demokratie so weit zu destabilisieren, daß eine Wiederwahl Trumps verhindert wird – worauf gewisse Kräfte wieder einen „globalistischen“ Präsidenten einsetzen werden, etwa den alten Joe Biden, der aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung, so hört man, leicht zu „beraten“ wäre.

Die Demokratie in Deutschland bröckelt von innen. Politiker bekennen sich offen zu antidemokratischen Schlägertrupps. Meinungsmacher sprechen Andersdenkenden die Grundrechte ab. Das Parlament wurde zum Abnickverein – und zu wenige stört das.

In Deutschland aber solidarisieren sich – wenig überraschend und doch erschreckend – die „üblichen Verdächtigen“ mit dem antidemokratischen Straßenterror der Antifa.

Vor einiger Zeit war ich in Sorge um die Demokratie. Ich fürchte, daß die Zeit der „Sorgen“ ausläuft.

Demokratie braucht Demokraten. Demokratie ist eine künstliche, keineswegs „natürliche“ Regierungsform. Das macht sie aber keineswegs schlecht! Auch dritte Zähne, Symphonien und die gesamte Literatur sind „künstlich“, und doch wäre das Leben ohne sie weniger lebenswert.

Die sogenannten Öffentlich-Rechtlichen ähneln in Deutschland immer mehr einem Staatsfunk, der einen wahl­entscheidenden Teil der Wähler dazu manipuliert, das bloße Reagieren auf Trigger für Moral zu halten, suizidalen Gehorsam für Haltung und jeden Widerspruch für unanständig – und, vor allem, alles hinzunehmen, was die Regierung entscheidet, selbst wenn es das Leben der Bürger und die Zukunft des Landes kostet.

Es ist der Demokratie wesentlich, daß auch Minderheiten und Vertreter abweichender Meinung eine Stimme finden – sonst bräuchte es kein Parlament, das Kanzleramt würde genügen –, und ist es also noch Demokratie, wenn die Bürger dazu manipuliert wurden, demokratische Debatte selbst für „undemokratisch“ zu halten? Ich weiß, es ergibt begrifflich wenig Sinn – das ist ja das Problem.

Nein, ich würde dem Außerirdischen nicht erklären, daß Demokratie generell die beste der Regierungsformen ist – nicht mehr, nicht im Angesicht des Merkel-Staatsfunk-Systems –, ich würde vorsichtig postulieren, daß Demokratie die beste der Regierungsformen sein kann – wenn die Bürger selbst „kleine Demokraten“ sind. Das ist das Problem mit demokratischen Wahlen in vielen streng religiösen Staaten – Demokratie setzt demokratische Haltung der Mehrheit der Wähler voraus, sonst wählen sie eben Undemokraten.

Demokratie braucht Demokraten. Demokratie ohne Demokraten geht nicht – zumindest nicht lange Zeit.

Die Demokratie in Deutschland bröckelt von innen. Politiker bekennen sich offen zu antidemokratischen Schlägertrupps. Meinungsmacher sprechen Andersdenkenden die Grundrechte ab. Das Parlament wurde zum Abnickverein – und zu wenige stört es.

Es gibt keine Demokratie ohne Demokraten, nicht langfristig, nicht stabil. Demokratie braucht Demokraten – oder sie wird etwas ganz anderes. Wer ein in der Seele gewirkter Demokrat ist, wer an die Weisheit und, ja, Legitimation von Regierungsentscheidungen durch den demokratischen Prozeß glaubt, der könnte sich in Deutschland heute wie ein Außerirdischer fühlen – etwas ratlos, etwas hilflos, wie auf dem falschen Planeten gelandet.






Dushan Wegner, Jahrgang 1974, ist Publizist und Buchautor. Wegner wurde in der Tschechoslowakei geboren und kam im Alter von sechs Jahren nach Deutschland. Er studierte Theologie und Philosophie. Heute pendelt er zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Philosophie in der Praxis („Die Schuld der Gutmenschen“, JF 41/17). Er bloggt auf

 dushanwegner.com 

Foto: Außerirdische beim Besuch auf der Erde (Szenenfoto aus dem Kinofilm „Galaxy Quest – Planlos durchs Weltall“): Ein Demokrat könnte sich in Deutschland heute wie ein Außerirdischer fühlen – etwas ratlos, etwas hilflos, wie auf dem falschen Planeten gelandet