© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/20 / 12. Juni 2020

Heute dominiert ein asymmetrischer Blick
Die Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder warnen vor einer Verharmlosung des Linksextremismus
Johannes R. Kandel

Es gibt, insbesondere seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, zahllose Studien, Berichte, Kommentare und politische Brandreden zur Gefahr des „Rechtsextremismus“ und verwandten „Strömungen“, angefacht besonders durch den „NPD-Schock“ 1968. Seitdem wird immer wieder periodisch der Eindruck genährt, als stünde eine Machtübernahme „der Rechten“ unmittelbar bevor, eine virulente Gefahr „von rechts“ beschworen. Heute wird die AfD als eine vermeintliche Speerspitze des Rechtsextremismus von Regierung und den sie tragenden Parteien ausgegrenzt. Flankiert von zahlreichen NGOs, Gewerkschaften und Kirchen sowie von den staatsnahen Medien bestens unterstützt, wird der vermeintliche „Überlebenskampf“ der Demokratie gegen „Rechts“ organisiert. 

Die Politikwissenschaftler Klaus Schroeder, Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat, und Monika Deutz-Schroeder, in demselben Forschungsverbund tätig, verweisen treffend auf einen gegenwärtig dominierenden „asymmetrischen“ Blick auf den „Extremismus“ und geben zahlreiche Beispiele für eine anhaltende Relativierung und Verharmlosung des Linksextremismus. Es ist ihnen uneingeschränkt zuzustimmen, wenn sie im ersten Satz ihres Buches formulieren: „Ein Buch über linke Gewalt zu schreiben, ist angesichts der zu erwartenden Kritik nicht einfach.“ Und das ist noch milde formuliert. 

Wer über Gewalt von links schreibt, der sieht sich nicht nur Vorurteilen und Relativierungen ausgesetzt, sondern inzwischen auch Einschüchterungen und Bedrohungen wie zum Beispiel im „Fall“ Jörg Baberowski. Unausrottbar zieht sich durch die Geschichte der Linken die Behauptung: Linke Gewalt sei „gut“, denn sie diene „hehren Zielen“, ziele „auf eine bessere Welt“, sie sei „Reaktion auf reale Mißstände“ und daher nur „Gegengewalt“ gegen „autoritäre gesell-schaftliche Strukturen“. Auch richte sie sich meistens nur gegen Sachen und nicht Personen. Rechte Gewalt dagegen sei „böse“, von „Haß getrieben“ und richte sich „gegen Personen und Schwächere“. Summa summarum: Linke Gewalt sei moralisch gerechtfertigt, rechte Gewalt nicht. 

Am Ende der linken Gewalt steht der blanke Terror

Linke sind besonders um ideologisch-politische Legitimation ihrer Gewaltanwendung bemüht. Die Gewaltanwendung wird oft gar als „Notwehr“ gegen ein vermeintlich gesamtgesellschaftliches „Gewaltsystem“ mit staatlicher Abstützung („strukturelle Gewalt“) gerechtfertigt. Das ließ sich bereits geradezu klassisch am Beispiel der „68er“ demonstrieren, denen die Autoren treffend ein nur taktisches Verhältnis zur Gewalt attestieren. 

Nach begrifflichen Klärungen zu linker Gewalt, die hier und da hätten etwas sorgfältiger ausfallen können (Gewaltforschung), bieten die Autoren eine Geschichte linker Gewalt, von der Französischen Revolution bis hin zur Antifa in den heutigen Tagen. Das zeigt Kontinuitäten und schließlich auch ein idealtypisches Grundmuster der Entstehung und Entwicklung linker Gewalt: Es beginnt mit der Politisierung eines wie auch immer definierten revolutionären Subjektes: Der „Dritte Stand“, die Arbeiterklasse, die Bauern, die Intelligenz (Bildungsbürger, Studenten), die „kolonialisierten“ Völker der „Dritten Welt“ , „Flüchtlinge“ und „Migranten“. 

Die Identifikation eines revolutionären Subjekts wird dann häufig verbunden mit utopischen Erlösungsszenarien (wie der egalitären, „klassenlosen Gesellschaft“, Herrschaftsfreiheit, allseitige Bildung und Bedürfnisbefriedigung im Kommunismus, dem „neuen Mensch“, der multikulturellen Herrlichkeit). Darauf folgt die Radikalisierung spezifischer Gruppen innerhalb des revolutionären Subjektes: Jakobiner (1789), radikale „Demokraten“ (1848), bolschewistische „Partei der Arbeiterklasse“, (Lenin 1917/18), KPD 1918 (Luxemburg, Liebknecht), studentische „Avantgarde“ (1968), K-Gruppen (1969), „Subversive Aktion“, „Tupamaros“, „Rote Armee Fraktion“ und „Revolutionäre Zellen“ (1970 ff.) und schließlich seit den achtziger Jahren Anarchisten und „Autonome“. Am Ende dieser Prozesse steht schließlich der Einstieg in die linke Gewalt mit leitenden totalitären Staats- und Gesellschaftskonzepten: „Terreur“ (1794), revolutionäre Aktionen 1848/49 (Hecker, Struve), der rote Terror der Bolschewisten 1918–1921, die Stalin-Herrschaft (1929–1953), die Morde der „Roten Armee Fraktion“ in der Bundesrepublik oder die im Völkermord endenden Gesellschaftsexperimente im Kommunismus in Asien (China oder Kambodscha). 

Wir wissen heute: die Opfer der linken Gewalt insgesamt überschreiten leicht die 100-Millionen-Grenze. Die Linkspartei hat soeben demonstriert, daß an ihrer Basis und im Vorstand Personen agieren, die zweifellos in der Tradition dieser linken Gewalt stehen. Fazit: Dieses profunde, gut lesbare Buch ist jedem wahren Schützer der Demokratie zur Pflichtlektüre empfohlen! 

Klaus Schroeder, Monika Deutz-Schroeder: Der Kampf ist nicht zu Ende. Geschichte und Aktualität linker Gewalt. Herder-Verlag, Freiburg i. Br. 2019, gebunden, 299 Seiten, 26 Euro