© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Korrektur oder Trendwende im Aktienhandel?
Bullenmarkt durch Geldpolitik
Thomas Kirchner

Der Kursrutsch vom 24. Oktober 1929 löste den Börsenkrach und die folgende Weltwirtschaftskrise aus. Am 11. Juni gab es erneut einen „Schwarzen Donnerstag“ mit Kursrückgängen in der Spitze um 6,26 (Dax) und 6,94 (S&P 500) Prozent, doch die Lage ist heute weit weniger dramatisch als vor 91 Jahren. Gefühlt wimmelt es von Gefahren: Randale in westlichen Industrieländern und Plünderungen in den USA, die zwar die Sendezeiten füllen, aber auf wenige Stadtzentren begrenzt sind. Außerdem das Risiko einer zweiten Coronawelle und die Rede des US-Zentralbankchefs Jerome Powell, der überzogene Erwartungen dämpfen will.

Daß bei diesen Risiken die Euphorie über die guten US-Arbeitsmarktdaten vom 5. Juni ins Gegenteil umschwingt, überrascht nicht, zumal die Zahlen vermutlich statistische Fehler enthielten. Fast einen Monat hatte der S&P-500-Index knapp unter der psychologisch wichtigen Marke von 3.000 verbracht, bevor er sie durchbrach und innerhalb von ein paar Tagen zehn Prozent zulegte. Nach einer solchen Bewegung eine Korrektur zu erwarten, bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten. Die Frage ist, ob es eine Korrektur oder Trendwende ist.

Verfechter der Trendwende verweisen auf die hohen Bewertungen von Aktien und beklagen eine Lücke zwischen Wunsch und Realität. Doch die Bewertungen sind nur hoch, weil viele Firmen keine Prognosen ausgeben. Tun sie es doch, hinken buchhalterisch vertretbare und gerichtsfeste Vorhersagen den tatsächlichen Erwartungen weit hinterher. Buchhaltung muß schließlich konservativ sein. Fast die Hälfte aller US-Unternehmen hat Gewinnerwartungen komplett zurückgezogen. Nur elf Prozent hält an den ursprünglichen Prognosen fest.

Aktien werden aber aufgrund langfristiger Gewinnerwartungen bewertet, nicht auf Basis der nächsten zwölf Monate und schon gar nicht aufgrund einer momentan schlechten Geschäftslage. Für den Dax erwarten Analysten einen Gewinnanstieg auf das Niveau von 2019 schon für 2021, im Jahr danach dann eine Rückkehr zum Rekord von 2018. Für den S&P 500 sind die Vorhersagen qualitativ ähnlich. Teurer als am Jahresanfang sind Aktien also nur, wenn man diese Prognosen für Humbug hält.

Dazu kommt die Ausweitung der globalen Geldmenge gekoppelt mit dauerhaft niedrigen Zinsen bei Fed, EZB, Bank of Japan & Co. Dies wird zur Wiederaufnahme von Aktienrückkaufprogrammen führen, sobald sich die wirtschaftliche Lage stabilisiert. Die lockere Geldpolitik wird, wie schon im vergangenen Jahrzehnt, treibende Kraft der nächsten Börsenhausse sein. Alles deutet also auf weitere Kurssteigerungen hin. Unweigerlich wird es ab und zu negative Nachrichten geben, die Unsicherheit an der Gesamtlage aufkommen lassen. Zu solchen Anlässen muß man sich auf weitere Kursstürze wie am „Schwarzen Donnerstag“ gefaßt machen.