© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Teurer Bevölkerungszuwachs
Bauland: Mehr als 90 Prozent aller deutschen Landkreise und Städte verzeichneten 2019 einen Zuwachs bei den Kaufpreisen
Christian Schreiber

Wohnraum ist nicht nur in angesagten Städten und deren Speckgürteln knapp und teuer, denn immer mehr Menschen aus aller Welt strömen nach Deutschland. Zu Zeiten der Wiedervereinigung lag die Bevölkerungszahl bei 79,8 Millionen, heute sind es trotz „demographischer Krise“ über 83,1 Millionen. München hatte vor 20 Jahren 1,2 Millionen Einwohner, inzwischen sind es über 300.000 mehr – das entspricht der Einwohnerschaft von Mannheim oder Karlsruhe. Frankfurt am Main kletterte von 650.000 auf über 750.000. Berlin wuchs innerhalb eines Jahrzehnts sogar um fast 400.000 auf 3,7 Millionen – ein Bochum oder zwei Kassel kamen hinzu.

Steigende Renditen für Investoren oder Aktionäre?

Davon profitieren globale Immobilieninvestoren und Wohnungskonzerne wie Vonovia oder Deutsche Wohnen, die die coronageschwächte Lufthansa im Dax-30 ersetzt. Wenn das Angebot knapp ist und die Nachfrage ungehemmt steigt, wachsen die Gewinne – da helfen auch keine Mietpreisbremsen. Daß die Immobilienblase im Gewerbebereich wegen absehbarer Restaurant- und Einzelhandelspleiten sowie in Folge von mehr Homeoffice platzt, ist hingegen nicht auszuschließen. Im Wohnungsbereich müssen Investoren oder Aktionäre kaum Zahlungsausfälle befürchten – im Zweifel steht der Steuerzahler mit Wohngeld oder Hartz IV bereit, um Obdachlosigkeit zu vermeiden.

Einziger Ausweg aus der Vonovia-Knechtschaft ist das Eigentum – doch auch hier sind die Preise stark gestiegen. Zu diesem Ergebnis kommt der „Postbank Wohnatlas 2020“. Die Nachfrage nach Wohneigentum ist 2019 unverändert hoch gewesen. Und die niedrigen Zinsen machen den Neubau attraktiv. In mehr als 90 Prozent aller 401 Landkreise und kreisfreien Städte gab es einen Zuwachs bei den Kaufpreisen. Im bundesweiten Mittel lag das Plus gegenüber 2018 inflationsbereinigt bei 9,3 Prozent – mehr als im Vorjahr. Selbst im ländlichen Raum waren kräftige Preissteigerungen zu beobachten.

„Niedrige Zinsen, große Nachfrage und knappes Angebot – das waren auch 2019 die wichtigsten Preistreiber am Immobilienmarkt. Eine Trendwende ist derzeit in den meisten Regionen Deutschlands nicht in Sicht“, sagt Eva Grunwald, Leiterin Immobiliengeschäft Postbank. Vor allem in den Kreisen im Umland der Metropolen steigt das Kaufpreisniveau weiter an. Angebotene Wohnungen und Häuser sind schnell verkauft. In sieben Landkreisen liegt der durchschnittliche Quadratmeterpreis für Wohneigentum über der Marke von 5.000 Euro. Die Schwerpunkte liegen im Süden, aber der teuerste Landkreis ist Nordfriesland, zu dem die Inseln Sylt, Föhr und Amrum gehören.

Hier kostete der Quadratmeter im Schnitt 6.452 Euro. Auf Platz zwei liegt Miesbach (Oberbayern) mit durchschnittlich 6.127 Euro pro Quadratmeter. Auch Starnberg und München haben die 6.000-Euro-Marke durchbrochen. „Alle drei Kreise liegen im Speckgürtel der bayerischen Landeshauptstadt und profitieren von der guten Anbindung auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln“, heißt es in der Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) für die Postbank.

„Niemand sollte sich zum Kauf drängen lassen“

Der Durchschnittswert für den Kauf von Eigentumswohnungen in München liegt bei 8.079 Euro pro Quadratmeter, das sind 6,2 Prozent mehr als 2018. Bei den Preissteigerungen folgen Frankfurt, Hamburg und Berlin. Den deutschlandweit stärksten Anstieg – von allerdings niedrigem Niveau ausgehend – verzeichnete die Uckermark mit einem Plus von gut 48 Prozent. Um knapp 42 Prozent schnellten die Quadratmeterpreise im Kreis Elbe-Elster in die Höhe. Auch in Frankfurt (Oder) wurde Wohneigentum um gut ein Drittel teurer – die Nähe zur Hauptstadt macht sich hier bemerkbar.

Selbst in Zweibrücken (Pfalz), der kleinsten kreisfreien Stadt, kletterten die Wohnungspreise um 36 Prozent. Einen ähnlichen Anstieg gab es in Mansfeld-Südharz, aber die Quadratmeterpreise blieben dort mit 831 Euro bezahlbar – eine Alternative für Rentner, deren Auskommen für Großstädte nicht mehr reicht. In NRW stiegen die Preise in Köln, Düsseldorf oder der Unistadt Münster weiter an, während es in den nieder­rheinischen Gebieten und im Ruhrpott moderat blieb. Auch Dresden, Leipzig oder Erfurt sind immer noch billiger als Nürnberg oder Stuttgart. Kaufinteressenten „sollten sich dennoch unbedingt die Zeit nehmen, ihr Wunschobjekt genau zu begutachten. Einzelne Objekte könnten überteuert sein. Niemand sollte sich zum Kauf drängen lassen“, warnt Eva Grunwald.

Während in München oder Berlin immer mehr Haushalte über die Hälfte des Einkommens für Wohnen aufbringen mußten, zahlte der Durchschnitt über alle Landkreise und kreisfreien Städte hinweg im vergangenen Jahr nur 13,4 Prozent (2018: 13 Prozent) für Miete und 17 Prozent (Vorjahr 15,7 Prozent) für die Finanzierung einer Eigentumswohnung. Generell wird empfohlen, daß Wohnen nicht mehr als 30 Prozent des Einkommens kosten sollte.

„Unsere Studie zeigt, daß die Zahl der Haushalte, deren Einkommen besonders stark von hohen Kaufpreisen oder Mieten belastet werden, gestiegen ist. Die Vollbremsung der Wirtschaft durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie könnten den Trend allerdings zeitweilig unterbrechen“, so die Postbank-Expertin. „Die Nachfrage wird besonders dort kurz- oder mittelfristig zurückgehen, wo überdurchschnittlich viele Arbeitnehmer aufgrund der Branchenstruktur von Kurzarbeit oder gar Jobverlust betroffen sind.“ Eine generelle Trendwende sei aber nicht zu erwarten: „Wir rechnen mit einer Delle, aber nicht mit einem Ende des Preiszyklus. Schließlich wirken alle strukturellen Faktoren, die den Zyklus am Immobilienmarkt vom Jahr 2009 bis zum Jahresanfang 2020 prägten, weiter.“

 „Postbank Wohnatlas 2020“: hwwi.org