© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Umwelt
Schwester Mutter Erde
Volker Kempf

Brasilien ist derzeit als Corona-Hotspot in den Negativschlagzeilen. Voriges Jahr verschaffte sich das 211-Millionen-Land mit einem Wirtschaftswachstum von zwei Prozent Respekt. Das G20-Mitglied ist weltgrößter Rindfleisch-Exporteur, zweitgrößter Biokraftstoffhersteller und Europas und Chinas Soja-Lieferant. Aber um welchen Preis? Die Abholzungen und Brandrodungen gingen weiter. Die Agrarlobby unterstützte den wirtschaftsliberalen Jair Messias Bolsonaro im Präsidentschaftswahlkampf 2018, dankbar wird sie die Zulassung von 474 neuen Agrochemikalien zur Kenntnis genommen haben. Die Liste der Substanzen, die in der EU aufgrund ihrer Umweltschäden nicht erlaubt sind, ist lang. Aus dem Wahlversprechen, den Indianervölkern keine Reservate auszuweisen und bestehende aufzuheben, wird allerdings nichts werden, denn die brasilianischen Verfassungsgerichte gelten als recht verläßlich. Zu Jahresanfang wurde aber die Rohstoffausbeutung innerhalb von Reservaten beschlossen.

Christen müssen in schwierigen Zeiten in Brasilien einen dritten Weg aufzeigen.

Zwei Drittel der Bevölkerung sind Katholiken, von denen die eine Hälfte den rechten Bolsonaro stützt, die andere Hälfte wählt die linke Arbeiterpartei (PT). Da fällt es der Kirche schwer, mit einer Stimme zu sprechen, zumal ihre Option für die Armen in ihrem Dokument der Amazonas-Synode die „Schwester Mutter Erde“ zu den verletzlichen Gruppen zählt (JF 9/20). Ein engagierter Einsatz für die Armen nährt in der polarisierten Atmosphäre den Verdacht, mit Linken und gar Kommunisten zu sympathisieren. Die katholische Kirche wird in Brasilien aber nicht umhinkommen, die Perspektive der Opfer in einer Gesamtbilanz des Wirtschaftswachstums zur Geltung zu bringen, schreibt die katholische Monatsschrift Stimmen der Zeit (06/20). Christen müssen in schwierigen Zeiten mutig sein und in Brasilien einen dritten Weg aufzeigen.