© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Neue Königinnen
„Glaube, Sitte, Heimat“: Traditionelle Schützenvereine öffnen sich zunehmend für Frauen
Bernd Rademacher

Schützenvereine sind für urbane Hipster ein Inbegriff der „Spießigkeit“. Allein das Motto der Schützenbruderschaften „Glaube – Sitte – Heimat“ ist ein „Trigger“, ein Reizwort für linke Stammtische. Und dann erst die Uniformen und Gewehre! Doch im ländlichen Raum spielen die traditionellen Kompanien eine wichtige Rolle als sozialer Kitt. In den grünen Jacken der oft weit über hundert Jahre bestehenden Korps stecken immer öfter Frauen.

Man könnte leicht vermuten, daß die viel beklagte Landflucht oder so manche Traditionsvergessenheit der Jungen die Schützenbruderschaften zwänge, ihre gelichteten Reihen mit Damen aufzufüllen. Doch tatsächlich haben sich viele Vereine schon seit längerer Zeit für die Aufnahme von Schützen-

schwestern geöffnet. Vereinzelt gründeten sich auch Frauenschützenvereine. Die Damenkompanie in Schneiderkrug im Emsland existiert bereits seit 1975. Kürzlich löste dort Andrea Ferneding den bisherigen König ab und ist nun die dritte Schützenkönigin in der zweihundertjährigen Chronik der gemischten St.-Johannes-Schützenbruderschaft. Die 300 Vereinsmitglieder wählten die 43jährige zudem einstimmig zur „Brudermeisterin“, also zur Vereinsvorsitzenden. 

Allgemein assoziieren viele das Schützenwesen mit folkloristischen Tschingbumm-Umzügen und vor allem mit dem Schützenfest, auf dem legendäre Mengen an Bier und Schnaps konsumiert werden und die Polizei keine Autofahrer kontrolliert, weil die örtlichen Ordnungshüter selbst kräftig mitfeiern. Soweit jedenfalls das Klischee. Doch die Aktivitäten der Vereine erschöpfen sich nicht in feuchtfröhlichen Feiern.

Die Jünger des heiligen Sebastian, dem Schutzpatron der Schützen, unterstützen sich gegenseitig und engagieren sich für ihre Gemeinden. In Hagstedt bei Vechta im Oldenburgischen treffen sich alle mit Pkw und Anhängern zur großen Müllsammelaktion und befreien die Botanik von Plastikabfällen. Die Jungschützen haben unterdessen in einer 72-Stunden-Aktion den Dorfteich entkrautet und renaturiert. Bei Spendensammlungen für karitative Zwecke sind die Schützenvereine eine sichere Bank. 

Im westfälischen Horstmar sammeln die Jungschützen nach dem Dreikönigstag gegen einen Obolus die Weihnachtsbäume ein und lassen das Geld regionalen Trägern zukommen. Hinzu kommt eine lebendige Jugendarbeit mit Ferienfreizeiten und geselligen Trainingsabenden für die Fahnenschwenker. In Deutschland gibt es rund 14.300 Schützenvereine (Schießsport und historische Schützenbruderschaften). Frauen waren zwar immer schon am Vereinsleben beteiligt, vom Königsschießen und Vorstandsämtern allerdings ausgenommen. 

In Bohmte bei Osnabrück änderte sich das bereits vor rund vierzig Jahren. Im münsterländischen Stadtlohn waren die Schützinnen erstmalig 2017 dabei. Auf Gleichstellungsbeauftragte können die Schützengilden dabei verzichten, denn von männlicher Kritik oder Abwehrhaltung ist so gut wie nichts bekannt – oder die Männer äußern sie nur unter sich in verschwiegenen Zirkeln. 

Die meisten begrüßen es dagegen, daß die Anwesenheit von Damen eine freundlichere Note in das Vereinsleben bringt. Allerdings ist es vielen Männern unangenehm, Frauen beim Königsschießen zu unterliegen. Kritik gibt es eher an reinen Frauenschützenvereinen, die sich in Nordrhein-Westfalen vereinzelt gegründet haben und Männer kategorisch ausschließen. Das, so die Kritik von Schützenbrüdern und -schwestern, konterkariere geradezu widersinnig den Gleichberechtigungsgedanken und die Öffnung des Schützenwesens für beide Geschlechter.

Einige distanzieren sich voreilig von „rechts“

Die Schützenbruderschaften, die oft Heiligennamen tragen, binden nicht nur die aktiven Mitglieder an ihre Heimat, sondern auch solche, die wegen Studium, Beruf oder Ehe fortgezogen sind – denn zum jährlichen Schützenfest kommen viele eigens angereist, manche nehmen sich extra Urlaub.

Doch wer sich zur Heimatliebe bekennt, gerät heute schnell ins Feuer grüner Generalverdächtiger. Um sich davor zu schützen, distanzieren sich einige Landesverbände schon vorauseilend von „rechts“, obwohl linkes Gedankengut gerade in Agrarregionen überwiegend unpopulär ist.