© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

„Blanker Populismus“
Bundeswehr: Die Führung verschärft den internen „Kampf gegen Rechts“
Philipp Meyer

Die Bundeswehr bemüht sich in ihrer Außenwirkung um eine Würdigung von oppositionellen Persönlichkeiten mit militärischem Hintergrund. Da wäre das traditionelle Bekenntnis zum Widerstandskreis um Oberst Stauffenberg oder die 2019 erfolgte Umbenennung einer Kaserne nach Christoph Probst, einem Mitglied der Weißen Rose. 

Auch die Wahl des Generalmajors Johann Friedrich Adolf von der Marwitz zum Namenspatron eines Offizieranwärterjahrgangs verweist in diese Richtung. Der preußische Offizier fiel bei seinem König Friedrich dem Großen in Mißgunst, als er sich nach siegreicher Schlacht dessen Anordnung zur Plünderung eines sächsischen Jagdschlosses verweigerte. Seinen Grabstein ziert daher die Inschrift: „Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte.“ In letzter Zeit scheint es jedoch, als wünsche der Dienstherr mehr unbedingten Gehorsam und weniger kritisches Bewußtsein.

Nachdem jahrelang mangelhafte Ausstattung die Schlagzeilen bestimmte und ein Fragezeichen hinter die Fähigkeit zur Landesverteidigung setzte, rückt nun der Feind in den eigenen Reihen verstärkt ins Visier der Bundeswehrführung. Die gesellschaftlichen Verwerfungen, welche seit Beginn der Flüchtlingskrise das öffentliche Klima prägen, sind auch in den Streitkräften angekommen und stellen das Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen auf die Probe. Abweichende Meinungen gelten seit dem berüchtigten Ausspruch der ehemaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen über ein „Haltungsproblem“ in der Truppe als unerwünscht.

In der Tat gab es eine Reihe medienwirksamer Fehltritte von Bundeswehrsoldaten. Obskure Abschiedsfeiern der Eliteeinheit KSK und Verstrickungen von Soldaten in extremistische Prepper-Netzwerke täuschen jedoch darüber hinweg, daß es sich hierbei um isolierte Einzelfälle handelt. Immer wieder ist von „rechten Netzwerken“ innerhalb der Bundeswehr die Rede, für die jedoch bis jetzt kein Beweis erbracht wurde. Und entgegen der regelmäßigen Beteuerung, die Truppe stehe „nicht unter Generalverdacht“ (so die Wehrbeauftragte Eva Högl), dient genau dieser zu einer massiven Einschränkung bisheriger Soldatenrechte.

Denn die Bundesregierung forciert eine beträchtliche Verschärfung von Disziplinarordnung und Soldatengesetz. Die neue Gesetzesvorlage sieht vor, daß Soldaten, die ihre Dienstpflicht besonders schuldhaft verletzen, nun während ihrer ersten acht Dienstjahre und nicht mehr wie bisher innerhalb von vier Jahren Dienstzeit vereinfacht entlassen werden können. Dies bedeutet eine Verdopplung der „Probezeit“, in der ein Soldat per Verfügung des Personalamtes entfernt werden kann und keinen Anspruch auf eine Verhandlung vor dem Truppendienstgericht hat. Damit müssen Anschuldigungen einer vermeintlichen Verfassungsuntreue beim einzelnen Soldaten nicht mehr erhärtet werden. Im Zweifel wird es der Dienstherr auf eine zivile Gegenklage des Entlassenen ankommen lassen. Aber wer möchte sich schon mittels eines jahrelangen Prozesses als rehabilitierter Extremist zurückklagen? Zudem soll der Zeitraum, in dem ein Soldat für ein Dienstvergehen disziplinarrechtlich belangt werden kann, von sechs auf zwölf Monate angehoben werden und künftig deutlich höhere Geldbußen möglich sein.

Was Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer als wirksames Mittel im Kampf gegen Extremismus und schwere Sexualstraftaten lobt, nennt der Bundeswehrverband „ungerecht und unverhältnismäßig“ sowie „blanken Populismus“. Der Verband sieht die Rechte seiner Mitglieder zugunsten einer medialen Kampagne geopfert. In der Tat läßt eine Auswertung der 1.300 Entlassungen von Soldaten während der Jahre 2016 bis 2019 den Schluß zu, daß eine Verschärfung des Soldatenrechts gerade einmal in zwei bis drei Fällen pro Jahr wirksam geworden wäre. Von einer Entlastung der Truppendienstgerichte, wie Kramp-Karrenbauer argumentiert, kann also keine Rede sein. Es handelt sich bei dem Gesetzentwurf viel eher um eine Einschüchterung der Soldaten durch die massive Abwertung ihrer Rechte. 

Unbequeme Meinungen sollen nicht mehr geäußert werden, da die dienstlichen Konsequenzen immer schwerer einzuschätzen sind. Wer Karriere machen will, braucht schnelle Beförderungen und keine Disziplinarverfahren, die sie auf ungewisse Dauer aussetzen. Verstärkt wird dies durch eine geförderte „Meldekultur“. Soldaten berichten hinter vorgehaltener Hand, daß Vorgesetzte häufiger zur Beobachtung der eigenen Kameraden drängen. Zunehmend besorgt blickt mancher auch auf den Militärischen Abschirmdienst (MAD). 

Der truppeneigene Geheimdienst nutzt seit einigen Monaten eine neu erstellte „Farbenlehre“. Unter „Grün“ werden alle unverdächtigen Soldaten summiert, „Rot“ bezeichnet politische und religiöse Extremisten. Ominös bleibt jedoch die Kategorie „Orange“ für alle Bundeswehrangehörigen, denen mangelnde Verfassungstreue vorgeworfen wird. Im Klartext: Soldaten, die keine Verstrickungen in extremistische Organisationen aufweisen, aber aufgrund ihrer Gesinnung suspekt erscheinen.

Noch problematischer wird es bei den Kriterien, mit denen der MAD neuerdings Verfassungstreue definiert – und dabei auf fragwürdige Quellen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung zurückgreift. Währenddessen wünschen sich viele in der Truppe eine Rückkehr zur Normalität. Nach der Zwangspause aufgrund der Corona-Kontaktsperren möchten die Soldaten endlich wieder in den Übungs- und Einsatzbetrieb – ohne eine permanente Infragestellung ihres auf die Verfassung geleisteten Eides.