© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

Nach negativen Notierungen zieht die Nachfrage wieder an
Ölpreis auf Höhenflug
Thomas Kirchner

Nur 35 Cent für den Liter Benzin in den USA, 1,10 Euro in Deutschland – damit ist es vorbei. Am Lieferort Cushing in Oklahoma sind die Lagerbestände seit Anfang Mai stetig gesunken. Engpässe dort waren im April für die kurzfristig negativen Ölpreise verantwortlich (JF 18/20). Die Lagerbestände in den gesamten USA sind aber auf ein neues Rekordniveau gestiegen. Doch einiges deutet auf steigende Preise hin: Zum einen berichtet das Ölkartell Opec, daß die Fördermengenkürzungen weitgehend eingehalten werden. Der Rohölpreis hat sich auf 40 Dollar pro Barrel (159 Liter) verdoppelt. Die Preisdiskrepanz zwischen der Europa-Sorte Brent und dem amerikanischen WTI fiel von 15 auf drei Dollar.

Die Opec reduziert die Fördermenge um 9,7 Millionen Barrel pro Tag bis Juli. Irak und Kasachstan, die die Beschränkungen bisher ignoriert haben, verpflichteten sich neuerdings zu deren Einhaltung. Rußlands Widerstand gegen weitere Fördereinschränkungen ging allerdings in der allgemeinen Euphorie unter. Venezuelas Ölexporte sind auf das Niveau von 1947 gesunken, was allerdings an hausgemachten Problemen liegt.

In den USA steckt die Frackingbranche angesichts der niedrigen Ölpreise weiterhin in der Krise. 200.000 Arbeitsplätze sind bisher verlorengegangen. Die Zahl der aktiven Ölbohranlagen, ein Frühindikator zukünftiger Fördermengen, ist von 800 vor einem Jahr auf zuletzt weniger als 190 gesunken, sowenig wie zuletzt 2009, bevor die Schieferförderung an Fahrt aufnahm. Im vierten Monat rückläufiger Produktion beherrschen Konkurse die Branche. Die Fördermenge bleibt also unter Kontrolle.

Zum anderen kommt die Nachfrage langsam wieder in Gang. Zwei der größten Ölhändler, die Rotterdamer Vitol Group und Trafigura (Singapur), sehen deutliche Anzeichen einer Erholung, mit Volumen weltweit auf 90 Prozent des Vorkrisenniveaus. Weitere fünf Prozent sollen in den nächsten Monaten zurückkommen. Die Commerzbank sieht eine Normalisierung der Nachfrage in China, auch wenn der Verkehr in Peking wegen des erneuten Virusausbruchs zum Erliegen kam. Wenn sich derzeit 32 Öltanker vor der chinesischen Küste stauen, liegt das eher an vollen Lagern wegen eines massiven Importbooms und reflektiert nicht die Nachfrage, die seit Mai um 20 Prozent gestiegen ist. Der Ölkonzern Total wurde von der Erholung überrascht und mußte im Juni soviel Brent-Öl kaufen wie seit 2016 nicht.

Die Preisentwicklung an den Terminmärkten läßt sogar auf derzeitige Lieferengpässe schließen: Brent-Öl für Lieferung im August ist geringfügig teurer als für Lieferung im September oder Oktober. Sollte aber eine zweite Corona-Welle erneut zu weitreichenden Ausgehverboten führen, wäre es mit dem Ölpreisaufschwung schnell wieder vorbei.

Short-Term Energy Outlook (6/20):  www.eia.gov