© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

Dorn im Auge
Christian Dorn

In Zeiten der Corona-Pandemie bekommt der Ausspruch „Das war mit Abstand das Beste!“ eine neue Bedeutung. So macht heute selbst der Sommer eine Schwalbe – nämlich Jazz-Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer vom Zentralquartett, der maßgeblich daran mitgewirkt hat, die Wahl des Radebeuler Kulturamtsleiters Jörg Bernig für ungültig zu erklären. Rückblickend erscheint mir das Bild im Berliner Ensemble im November 2016, als „Baby“ Sommer – im Anschluß an das Konzert des Geburtstagskindes Wolf Biermann – im vertrauten Gespräch mit der Kanzlerin zu beobachten war, ein offenkundiger Beweis dafür, daß der einstige Stasi-Informant Sommer aktiv mithilft, die Politik Merkels „abzusichern“. Da fällt mir ein, welchen Titel mein Buch haben müßte, das unsere Gegenwart reflektiert: „Denk an Merkel! Du schaffst das!“ Mittlerweile übe ich mich darin, diese Aufmunterung im Alltag anzuwenden, schließlich hat Egon Krenz kein Patent auf die „Wende“. 


Der in der Wirtschaftspresse beschworene „disruptive“ Faktor der Corona-Pandemie zeigt sich unversehens in der Nachbarschaft, wo die Familie des Filmproduzenten „Atze“ Brauner nach dem Tod des Patriarchen damit begonnen hat, das Areal des traditionsreichen Kinos „Colosseum“ zum Verkauf vorzubereiten. So dient der Shutdown zum Vorwand, um das Kino endgültig zu schließen und richtig Kasse zu machen – sichtbar auch daran, daß Erbe Sammy Brauner die Verpachtung des Kinos an einen anderen Betreiber verweigert. Dieser Verlust trifft mich plötzlich persönlich, hatte ich hier doch bereits vor dem Mauerfall prägende Erlebnisse wie die Filmpremiere von „flüstern & schreien“. Heutzutage wird nur geflüstert, etwa, daß niemand sich traut, das Gebaren der Brauner-Familie anzuprangern. So erklärt sich mir auch, daß keine prominente Stimme aus dem Kulturbetrieb zu vernehmen ist, selbst der Berlinale nicht, die öffentlich gegen die Schließung des Kinos protestierte. 


Apropos Protest: Die „gewichtige“ taz-Kolumnistin, die die Polizei zu „Müll“ erklärte, läßt sich wohl wirklich nicht integrieren. Eine sehr hübsche junge Türkin im Bistro, der ich eine derangierte Aufnahme der Autorin zeige, schüttelt daraufhin ungläubig den Kopf: „Da muß man sich ja als Frau schämen!“ Darum merke: „Was tut ganz besonders weh? / Humanoides Hengameh!“ Also muß ich selbst den „strukturellen Rassismus“ entlarven. Im Café des Sowjetsektors suche ich vergeblich nach dem Rohrzucker, stattdessen nur Weißzucker-Streuer: Ein klarer Fall von „White Supremacy“, höchste Zeit für antirassistische Rohrspatzen!