© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

Vier Jahre ohne Linksverkehr
Die britischen Kanalinseln unter deutscher Besatzung
Alexander Graf

Nach der Niederlage Frankreichs im Zweiten Weltkrieg befürchteten die Briten 1940 eine deutsche Invasion. Doch die Wehrmacht rückte nicht in Dover, London oder Manchester ein. Stattdessen besetzten deutsche Truppen am 30. Juni 1940 die britischen Kanalinseln Guernsey, Jersey und Alderney. 

Ohne einen Schuß abzugeben, nahmen die Landser die Inseln in Besitz. Mitte Juni hatte die britische Regierung sie demilitarisiert und 23.000 Bewohner evakuiert. In Unkenntnis davon bombardierten deutsche Flugzeuge die Hafenanlagen der Inseln noch am 28. Juni. Dabei kamen 44 Personen ums Leben. 

Die verbliebenen 70.000 Insulaner gerieten unter die Kontrolle der deutschen Besatzungsmacht. Für die folgenden fünf Jahre lebten sie unter vergleichsweise milden Umständen. Deutschland praktizierte das, was in der Forschung als „milde Besatzung“ bezeichnet wird. Die Verwaltung blieb in der Hand der örtlichen Behörden. Jedoch wurde der typisch britische Linksverkehr abgeschafft. Einheimische Polizisten, die sogenannten „Bobbies“ mit der markanten Kopfbedeckung, patrouillierten gemeinsam mit deutschen Soldaten und sorgten für Ordnung. Der deutsche Historiker Peter Lieb wertete die Zeit unter deutscher Herrschaft als auskömmliches Nebeneinander von Besatzern und Besetzten. 

Bis Kriegsende wurden 1.309 Inselbewohner wegen Verstößen gegen Anweisungen der Besatzer verhaftet. Zwischen 200 und 250 von ihnen brachte man nach Frankreich und Deutschland. 

Ungeachtet dessen galten die deutschen Soldaten bei der britischen Bevölkerung als höflich, zuvorkommend und korrekt. Aus Liebesbeziehungen zwischen Insulanerinnen und Wehrmachtssoldaten gingen rund 470 Kinder hervor. 

Nachdem der Plan für eine Invasion der britischen Hauptinsel verworfen wurde, sollten die Kanalinseln als Teil des Atlantikwalls zu Festungen ausgebaut werden. Zu diesem Zweck schufteten ab 1942 etwa 15.000 Zwangsarbeiter für die Errichtung von Verteidigungsanlagen, und zeitweise waren 30.000 Wehrmachtssoldaten dort stationiert. Die Maßnahmen liefen jedoch ins Leere. Denn als die Alliierten im Juni 1944 mit der Invasion des europäischen Festlandes begannen, ließen sie die Kanalinseln links liegen. 

So blieb das einzige von Deutschen besetzte britische Territorium bis zur Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 besetzt. Einen Tag später übergab Generalmajor Rudolf Wulf die Insel kampflos an die Briten.