© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/20 / 03. Juli 2020

„Es geht um die Macht“
Was in der Stuttgarter Krawallnacht tatsächlich passiert ist, wird uns verschwiegen – mittels schlauer Sprachstrategien, so der Schriftsteller Thor Kunkel. Diese analysiert er nun in seinem neuen Buch
Moritz Schwarz

Herr Kunkel, die Gewaltnacht von Stuttgart ist fast schon wieder aus den Medien verschwunden. Zu Recht?

Thor Kunkel: Nein, aber kein Wunder. 

Warum? 

Kunkel: Man muß sich das einmal vergegenwärtigen: Der Polizeipräsident selbst hat die Gewaltverbrechen sofort verharmlost. Was bitte ist das für eine Polizei, die Straftaten lieber kleinredet, als sie klar zu benennen?

Aber das hat sie doch getan: Samstag abend, Partyszene, Corona-Streß – da kann schon mal was aus dem Ruder laufen ... 

Kunkel: Sie wissen, daß das nicht stimmt. Alles, was gegen den politisch korrekten Wahrnehmungsmodus verstieß, wurde ausgeblendet, die ständigen „Fuck the Police“- ebenso wie die „Allahu Akbar“-Rufe. Als hätte das alles nichts zu bedeuten, als ob die Täter nur Krawallbrüder wären! Andererseits kennen wir das ja schon von den islamischen Terroristen, die es ja auch nicht ernst meinen, sondern nur „verwirrte“, „verführte“ Einzeltäter sind: Ihre Taten haben bekanntlich nichts mit dem Islam zu tun. Im Ernst: Stuttgart ist der wohl eindrücklichste Fall eines bizarren politischen Framings, den ich je erlebt habe! 

Was steckt Ihrer Ansicht nach dahinter? 

Kunkel: Man hat den Eindruck, Polizei und Medien müssen die Straftäter bezüglich der wahren Motive decken – um von der gescheiterten Einwanderungspolitik abzulenken. Denn würden die Ursachen der Ausschreitungen von Stuttgart beim Namen genannt, stünden die politisch Verantwortlichen schnell am Pranger. Ein derartiges Vertuschungsmanöver wäre doch eigentlich ein gefundenes Fressen für investigative Journalisten. Doch Fehlanzeige, keiner wird recherchieren, was wirklich in Stuttgart geschah.

Aber ginge es um „Vertuschung“, hätte der Polizeipräsident doch nicht betont, was für ein außergewöhnlicher Vorfall das war, hätten die Medien nicht alle ganz vorne und im Alarmton berichtet, sich nicht etliche Politiker so deutlich geäußert, und der Bundesinnenminister wäre nicht angereist. 

Kunkel: Irrtum, auch die lernen schließlich dazu: Ganz vertuschen geht nicht mehr, das haben sie nach der Kölner Silvesternacht gelernt – wo ihnen dieser Versuch auf die Füße gefallen ist. Statt dessen wird neuerdings erst mal zugegeben und halbherzig gejammert, dann aber umgedeutet. Alles, was Sie genannt haben, widerspricht der Strategie also nicht, sondern gehört dazu: Empörung erst simulieren, dann umlenken!  

Sie haben darauf hingewiesen, daß Stuttgart in Zusammenhang mit der Kölner Silvesternacht 2015/16 stehe. Damals ging es aber um sexuell enthemmte Ausländer, nun dagegen um linken Haß auf Polizisten.  

Kunkel: Tatsächlich war Stuttgart die Fortsetzung von Köln: Dort hatte man – vereinfacht gesagt – die Courage der deutschen Männer getestet, denn die 1.400 Frauen, die später Strafanzeige erstatteten, waren ja nicht alleine unterwegs. Nun ging es darum, die deutsche Polizei auf die Probe zu stellen. Das verbindende Element heißt, auszutesten wie weit man gehen kann. 

Auf welcher Grundlage stellen Sie diesen Zusammenhang her? Zunächst einmal ist das ja nichts weiter als Ihre Behauptung. 

Kunkel: Die auf meinen Wahrnehmungen als Schriftsteller beruht ... 

Im Klartext, Sie verfügen bezüglich Ihrer These über keine Expertise. 

Kunkel: Um sich anbahnenden Veränderungen in unserer Gesellschaft nachzuspüren, brauche ich keine fachliche Expertise, das stimmt. Als Schriftsteller ebenso wie als Kommunikationsberater mit einer ellenlangen Berufserfahrung  sehe ich mich heute eher als Seismographen der Gesellschaft. Daß man dabei auch mal falsch liegen kann, räume ich gerne ein. Oft aber nehmen unsere Antennen gewissermaßen vorweg, was sich später Bahn brechen wird. Und in diesem Fall ist mir klar, daß unsere eher ungebetenen „Gäste“ ihr neues Terrain „Dschermonie“ noch immer sondieren: „testing the waters“, wie es in den USA heißt – mal sehen, wie weit sie gehen können. Ich fürchte, ziemlich weit. 

Sie sehen hinter Köln und Stuttgart ein gesteuertes Vorgehen? Das ist doch absurd.

Kunkel: Nicht gesteuert – und wenn, dann von der Evolution: Ähnliche Verhaltensweisen lassen sich auch bei einem Wolfsrudel beobachten, das sich in einer neuen Umgebung breitmachen will. Das schmiedet auch keinen Plan, sondern verhält sich instinktiv – und geht dabei genauso vor wie beschrieben. Aber ich möchte hier keine Vergleiche ziehen, sonst heult der antiwissenschaftliche Zeitgeist gleich wieder los.

Zwischen Köln und Stuttgart liegen viereinhalb Jahre – nach einem Zusammenhang klingt das nicht. 

Kunkel: Mich erinnert das, was in Stuttgart geschah, an die periodisch aufflammenden Brandschatzungen in den französischen Banlieues: Da geht es wohl eher um die Klärung einer Machtfrage, und das braucht seine Zeit. Es spielt daher keine Rolle, daß mehr als vier Jahre zwischen den Ereignissen liegen. Wobei man nicht vergessen darf, daß in der Silvesternacht 2016/17 ein massives Polizeiaufgebot nötig war, um eine Wiederholung der Ausschreitungen zu verhindern. Das gleiche übrigens nun in Stuttgart, wo die Polizei am Samstag demonstrativ präsent war. Nun gut, dann weicht man eben zurück, taucht ab. Vielleicht findet das nächste „Stuttgart“ ja auch wieder erst in vier Jahren statt, oder doch früher – wer weiß. Irgendwann und irgendwo wird das Austesten weitergehen. Es ist nur logisch, daß es so kommt, da Politik und Polizei immer nur die Symptome ersticken, nie aber die Ursache.

Nämlich? 

Kunkel: Dem Anschein nach hat sich Deutschland ein enormes Gewaltpotential importiert. Vor allem die sogenannten jungen Männer sind weit davon entfernt, unsere abendländischen Werte zu teilen. Sie sind hier, weil es etwas zu holen gibt. Neid, gepaart mit religiösem Hochmut, dürfte ihre stärkste Triebfeder sein. Die Verachtung der „Ungläubigen“ und der Mißbrauch unserer Großzügigkeit werden offen postuliert. In dieser schieren Masse steckt natürlich auch Bürgerkriegspotential. Worüber sich die Politik bislang nie Gedanken gemacht hat – nun jedoch holt sie dieses Versäumnis immer öfter ein. Weshalb der politisch-mediale Komplex die unschönen Verwerfungen des multikulturellen Alptraums immer wortwahnwitziger einhegen muß. Wenn man den einzelnen Straßenräuber – mit Mihigru – früher schon „Antänzer“ nannte, dann kriegt es der Bürger nun eben mit der „Partyszene“ zu tun. Der Einwanderer hat längst begriffen, warum die Deutschen von ihrer Presse mit so einer Sprache für dumm verkauft werden: Man will sie von ihrem Land trennen. An dieser Aussage lügt sich die deutsche Presse seit Jahren vorbei. 

Sie haben Ihr neues Buch dieser Art von Sprache gewidmet – diesmal kein Roman, sondern ein Sachbuch: „Das Wörterbuch der Lügenpresse“. 

Kunkel: Ja, es ist ja nicht so, daß die Funktionselite eine Parole ausgibt und Journalisten und Künstler entsprechend sprechen und schreiben. Diese Leute sind weiter: Sie folgen intrinsisch ihrer Ideologie, weil sie selbst zum rot-grün-linken Establishment zählen. Mittels gezielter Begriffsumdeutungen werden so Ereignisse neutralisiert, die ein kritisches Licht auf die Einwanderung werfen könnten. Stuttgart hat wirklich einen neuen Standard gesetzt: Eine vor sich hin wütende Horde wurde etwa als „Kleingruppen“ verharmlost, ein gewalttätiger Mob überwiegend ausländischer und linksextremer Schläger als „Partyszene“ charakterisiert. Ein noch „schöneres“ Beispiel für diesen Wortwahnwitz unserer Presse – bei einem ähnlichen Fall, der sich vor Stuttgart ereignet hat – war die Umschreibung als „nächtlicher Spuk“. Gewaltexzesse werden also schemenhaft dargestellt, Täter und Taten bleiben im Ungefähren. In Stuttgart war es dann Aufgabe der Aufräumtrupps vom THW, eingeschlagene Schaufensterscheiben hinter Sperrholz zu verbergen, um nachträglich keine kognitive Dissonanz bei steuerzahlenden Bürgern auszulösen. Schließlich funktioniert die „Volks-Verarsche“ nur, wenn alle Ebenen zusammenspielen.

„Lügenpresse“ – hat der Titel Marketinggründe oder sehen Sie den Vorwurf belegt? 

Kunkel: Michael Klonovsky hat ja mal vorgeschlagen, besser von „Lückenpresse“ zu sprechen. Doch was wird mit diesem Unterschlagen von Idiomen bezweckt? Die Absicht der Lüge bleibt bestehen. Im übrigen ist „Lügenpresse“ eine der wenigen erfolgreichen Wortschöpfungen der rechtskonservativen Intellektuellen. Und wenn man dann bedenkt, daß etwa das ZDF den Spruch „White lives matter“ – also „Weiße Leben zählen“ – letzte Woche in einer „heute“-Sendung mit „NUR weiße Leben zählen“ übersetzt hat, um ihn einfacher als rassistisch verunglimpfen zu können, kann man sehen, wie man durch das Weglassen, beziehungsweise Hinzufügen von drei Buchstaben eine Aussage komplett ins Gegenteil verkehren kann. 

Ihre These im Buch lautet: Alles laufe über Sprachpolitik. 

Kunkel: Ja, unbedingt. Deutschland hat ein dickes Medienproblem, und das sehen Sie ganz deutlich an den unablässigen Sprachmanipulationen. Wie es früher eigentlich eher für kommunistische Staaten üblich war, bestimmen heute die Medien, was passiert ist und was nicht. Solange unsere staatstragende Presse den Deutschen die Verwüstung einer deutschen Innenstadt als „Partyexzeß“ verklickern kann, ist in Deutschland auf der politischen Ebene nichts zu bewegen. Ein gutes Drittel des Wörterbuchs dreht sich daher um die Verdeutlichung des Problems. Ein Drittel umfaßt dann das eigentliche Wörterbuch, und ein Drittel gilt der praktischen Anwendung. Es war mir ein Anliegen, ambitionierten Bürgern ein Praxisbuch an die Hand zu geben, um sich erfolgreich einmischen zu können. Fundierte Kritik, die nicht verstummt, macht selbst der Relotius-Presse zu schaffen. Wir brauchen in Deutschland eine Graswurzelbewegung von Andersdenkenden.  

Massiv dringt inzwischen die lange nur im linksradikalen Milieu gepflegte Gendersprache in die etablierten Medien ein, besonders bei den Öffentlich-Rechtlichen. Warum passiert das gerade jetzt?

Kunkel: Weil die linke Medienszene immer mehr Oberwasser bekommen hat – das sehen wir ja gerade erst wieder in Sachen „Black Lives Matter“: Wie widerstandslos die Mainstreammedien sich fast durchgängig der linken Interpretation der US-Ereignisse gebeugt haben – als sei die Situation in Deutschland im Grunde die gleiche wie in den USA. Dabei ist das völlig absurd, wie ich auch persönlich durch meine Zeit in den Vereinigten Staaten weiß. Die deutschen Medien haben wirklich alles getan, um alle narzißtisch gekränkten und dauerbeleidigten Minderheiten vor den Karren ihres antifaschistischen Machtkampfs zu spannen. Diese Leute sehen sich vor einem „Endsieg“.

Viele Bürger, die von Gendersprech auch nicht begeistert sind, winken allerdings ab: Wegen eines Binnen-I oder Gendersternchens zu protestieren lohne sich nicht. 

Kunkel: Falsch, denn es geht nicht um ein Sternchen – sondern um einen Kniefall vor dem linkskulturellen Hegemon, der Unterwerfung fordert und die Sprache und damit unser Denken kontrollieren will! Was Symbolpolitik ist, wissen die meisten Leute. Daß es aber ebenso Symboljournalismus gibt, ist den wenigsten klar: Texte mit „-Innen“ und ähnlichem zu spicken hat nichts mit „Gleichstellung“ zu tun, sondern mit einer Machtdemonstration. Es ist eine Sache, jemandem zu verbieten, so zu sprechen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, oder demjenigen auch noch vorzuschreiben, was er denken darf und was nicht.

Etliche Journalisten „gendern“, andere nicht. Bleibt es bei diesem Nebeneinander? 

Kunkel: Nein, im Journalismus wohl nicht. Früher oder später dürfte sich dort jeder gezwungen sehen, zu gendern. In anderen Bereichen aber kann ich mir das nicht vorstellen, etwa in der Alltagssprache oder in meinem Metier, der Literatur. 

Sind Sie sicher? Über Wortzombies wie „Migrationshintergrund“ oder „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ wurde auch gespottet: Setzt sich nie durch! Heute spricht schon mancher Normalbürger so. 

Kunkel: Das stimmt, und es könnte auch sein, daß der erste Roman in „gerechter“ Sprache von den Feuilletons gefeiert statt verlacht wird – wer weiß. Aber durchsetzen wird sich das in der Poesie nicht – außer in der Satire. Ich vermute, es werden sich ganz verschiedene Sprachmilieus ausprägen. Das war im Grunde schon immer so.

Gendersprech wird in einigen Medien, wie „Welt“, „FAZ“ oder „Cicero“, immer wieder auch fundamental kritisiert. Ist da dauerhafter Widerstand zu erwarten?

Kunkel: Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Medien sind Tendenzbetriebe, und in Deutschland leisten sie einen ungeheuren Beitrag zur politischen Gestaltung des Landes. Im Grunde wollen alle ein anderes Deutschland mit möglichst wenig Deutschen – schon gar nicht mit solchen, die noch wissen, wie man in einer der präzisesten Sprachen Kritik üben kann. Gendersprech und die sogenannte einfache Sprache sollen unser Niveau immer weiter absenken, und ich möchte fast behaupten, daß in manchen Schulen der Deutschschweiz, wo ich inzwischen lebe, heute ein besseres Deutsch gelehrt wird als an vielen deutschen Gymnasien. Dieser absichtlichen Entstellung unserer Sprache durch ein mediales Pennervolk und eine Clique aus Polit-Sektierern, die nichts aus der deutschen Geschichte gelernt haben, gilt es, sich entschieden zu widersetzen. 






Thor Kunkel, dem „kreativen Erzähler mit unglaublicher Sprachkraft“ (Spiegel-Journalistin Melanie Amann) gelang bereits mit seinem preisgekrönten Debütroman „Das Schwarzlicht-Terrarium“ von 2000 ein durchschlagender Erfolg: „Die deutsche Antwort auf Pulp Fiction“, so damals Die Woche. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung wählte den Titel unter die „25 wirkungsvollsten deutschen Bücher der letzten zwanzig Jahre“. Seitdem weiß Kunkel die Feuilletons von FAZ bis taz immer wieder zu begeistern. Einige seiner Bücher wurden für die Bühne und den Hörfunk bearbeitet, und 2018 verfilmte Oskar Roehler „Subs“ (2011) unter dem Titel „Herrliche Zeiten“. Der Roman „Endstufe“ löste 2004 einen Skandal aus. Geboren 1963 Frankfurt am Main, studierte Kunkel bildende Kunst in San Francisco, London und Amsterdam und war mehrfach für internationale Werbeagenturen tätig, für die er preisgekrönte Kampagnen entwarf. Jüngst erschien nun sein „Wörterbuch der Lügenpresse“. 

Foto: Autor und Werbefachmann Kunkel: „Würden die Ursachen der Ausschreitungen von Stuttgart beim Namen genannt, dann stünden die politisch Verantwortlichen schnell am Pranger“

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