© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/20 / 03. Juli 2020

Ländersache: Berlin
Erst auszahlen, dann prüfen – oder auch nicht
Paul Leonhard

Das Problem ist ein strukturelles. Die Investitionsbank Berlin (IBB) soll Corona-Soforthilfen auszahlen und zwar möglichst schnell, denn der rot-rot-grüne Senat wollte bundesweit glänzen. Der Bankvorstand tat wie befohlen, obwohl er wußte, daß er mangels Personals nicht so prüfen kann, wie er es müßte. Daß das Landeskriminalamt (LKA) bereits frühzeitig vor Betrügern warnte, blieb unbeachtet.

Ende März hatte der Bundesrat ein Fördermittelprogramm verabschiedet, nach dem durch Corona-bedingte Einschränkungen in ihrer Existenz bedrohte Selbständige und Kleinunternehmer bis zu 9.000 Euro sowie Firmen mit bis zu zehn Angestellten bis zu 15.000 Euro Soforthilfe zur Deckung laufender Kosten beantragen konnten. Den zuständigen Politikern war dabei klar, daß diese Hilfe nur ihren Zweck erfüllt, wenn schnell ausgezahlt wird. In Berlin geschah das teilweise sogar innerhalb eines Tages. So wurden innerhalb von 48 Stunden 890 Millionen Euro ausgezahlt. Insgesamt sind es 1,3 Milliarden Euro, ohne daß die Antragsteller näher geprüft wurden, was potentielle Betrüger auf den Plan rief.

Durch dieses Handeln sei „die Tatgelegenheit zum Betrügen sehr groß gewesen“, konstatierte Frank Worm vom Landeskriminalamt Berlin gegenüber dem ARD-Magazin „Kontraste“. Die Kriminalisten zeigen sich von der blauäuigen Handlungsweise der Landesbank geradezu schockiert. „Um den eintretenden Betrugsschaden zu minimieren, bitte ich um Prüfung, ob nicht zumindest einfache Prüfmaßnahmen eingeführt werden können, um mißbräuchliche Antragsstellungen zu erkennen“, hatte der Chefermittler Wirtschaftskriminalität am 3. April an die Banker geschrieben. Aber nicht nur an die Zentrale wandte sich das LKA, sondern fünf Tage später an alle Filialen. Die Berliner Staatsanwaltschaft übergab den Banken schließlich Mitte April einen umfangreichen Katalog, der wichtige Hinweise auf betrügerische Anträge detailliert auflistet.

Im benachbarten Brandenburg staunen Antragsteller wie Bewilliger über das Berliner Tempo. Daß dort einfach blind ausgezahlt wird, also ohne daß sich Personen ausweisen und Firmen ihre Existenz nachweisen müssen, erscheint unvorstellbar. In dem Flächenland wurden letztlich 550 Millionen Euro Soforthilfe an 62.000 Firmen oder Selbständige ausgezahlt – und bisher 200 Betrugsfälle aufgedeckt.

Für Schlagzeilen sorgte unterdessen die Verhaftung eines 30jährigen aus Berlin-Neukölln, der sich mit einem Komplizen in nur einem Monat 145.000 Euro Soforthilfen erschlichen haben soll. Auch stehen Angehörige der Berliner Salafistenszene im Verdacht, Corona-Soforthilfen für Kleinbetriebe bei der IBB beantragt und teilweise auch erhalten zu haben.

Der frühere Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum, inzwischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, vermutet, daß lediglich 170.000 der rund 207.000 mit Soforthilfen in Höhe von insgesamt 1,76 Milliarden Euro bedachten Unternehmer antragsberechtigt gewesen seien. Berlins grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop soll nun prüfen, ob und in welcher Höhe gegebenenfalls Bundesmittel an Nichtberechtigte, etwa Vereine, die nicht wirtschaftlich und dauerhaft am Markt tätig sind, geflossen seien.