© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/20 / 03. Juli 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Absichtlich kurz vor knapp
Paul Rosen

Die Frage, warum es zur Ankurbelung der Konjunktur ausgerechnet eine Senkung der Mehrwertsteuer gibt, ist einfach zu beantworten: Diese Steuersenkung hatte die gegen jede Entlastung der Bürger agitierende SPD-Spitze einfach nicht auf dem Radar gehabt. Alle anderen, wie Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder Senkung der Einkommensteuer, waren von der SPD schon längst blockiert worden.

Zwar verzichtet der Staat auf über 20 Milliarden Euro Einnahmen für ein halbes Jahr, aber die Umstellungen auf allen Rechnungen und an den Kassen verursachen einen enormen bürokratischen Aufwand. Von bis zu zehn Milliarden Euro ist die Rede. Das wollte man in der Bundesregierung nicht so gerne hören, und daher wurden der Nationale Normenkontrollrat (NKR), der jeden Gesetzentwurf auf Bürokratie prüft, kunstvoll ausgebremst. 

Während das Statistische Bundesamt den Gesetzentwurf zur Überprüfung immerhin noch zwei Tage vor der Sitzung des Bundeskabinetts bekam, trieb es das Finanzministerium mit dem Normenkontrollrat noch toller: „Das Ressort (Finanzministerium) hat dem NKR am Tag der Kabinettssitzung um 01.02 Uhr den Regierungsentwurf zur Prüfung zur Verfügung gestellt. Eine Prüfung dieses Regierungsentwurfs in einer halben Nacht widerspricht jeglicher Form besserer Rechtssetzung und guter konstruktiver Zusammenarbeit“, beschwerten sich die NKR-Mitlgieder Johannes Ludewig und Hans-Eberhard Schleyer. 

Was dann passierte, ist selbst für altgediente Beobachter ein ungeheuerlicher Vorgang: Frech verdrehte Finanz-staatssekretärin Sarah Ryglewski (SPD) in einem Schreiben an die Vorsitzende des Bundestags-Finanzausschusses, Katja Hessel (FDP), Ursache und Wirkung: „Der Nationale Normenkontrollrat hat seine Stellungnahme zum oben genannten Gesetzentwurf, der am 12. Juni vom Kabinett beschlossen wurde, am 12. Juni 2020, und damit kurz vor der Kabinettssitzung abgegeben, so daß sie das Bundeskabinett erst in der darauffolgenden Kabinettssitzung am 17. Juni zur Kenntnis nehmen konnte.“ Die Stellungnahme sei dem Bundesrat dann „nachgereicht“ worden, so Ryglewski. Hessel hatte sich schon mehrfach über spät eingebrachte Vorlagen beklagt. Von der CDU-Riege mit Sprecherin Antje Tillmann im Ausschuß ist nichts zu erwarten: Ein Wink aus dem Kanzleramt, und sie sind still.

Brav folgten die Koalitionsabgeordneten auch den Weisungen „von oben“, als es darum ging, die Vorlage zur Mehrwertsteuersenkung einschließlich Kindergeldbonus für den von Rot-Grün beherrschten Bundesrat zustimmungsreif zu machen. Ein Scheck über sechs Milliarden Euro war für die Länder schon auf den Entwurf gepackt worden – zum Ausgleich der Einnahmeverluste von Ländern und Gemeinden durch die Mehrwertsteuersenkung. Das reichte wohl nicht. Per Änderungsantrag Nr. 7 im Finanzausschuß legte die Koalition weitere 2,498 Milliarden Euro drauf, damit sich im Bundesrat genügend Finger heben. Politik kann so einfach sein.