© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/20 / 03. Juli 2020

Covid-19 mutiert zum Sprengsatz
Europol-Trendbericht: Lage des Terrorismus in der EU / „Separatistische“ Attacken halten Spitzenposition
Josef Hämmerling

Eine weitere Ausweitung terroristischer Anschläge in Europa befürchtet Europol-Chefin Catherine De Bolle durch die Corona-Krise. „Die Abriegelungsmaßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 könnten angesichts der potentiellen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen zu einer weiteren Eskalation der im EU Terrorism Situation & Trend Report (Te-Sat) dargestellten Entwicklungen führen“, so die Belgierin im vergangene Woche veröffentlichten Bericht der europäischen Strafverfolgungsbehörde Europol. Diese Entwicklung habe das Potential, die Radikalisierung sowohl von Aktivisten der extremen Linken und der extremen Rechten als auch von Dschihadisten zu beschleunigen.

Im vergangenen Jahr gab es dem Bericht zufolge 26 linksextreme und anarchistische Terroranschläge, nach nur 18 im Jahr zuvor. Die Zahl der Verhafteten stieg deutlich von 34 auf 111 Personen an. Fast alle wurden bei gewalttätigen Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit der Polizei in Italien festgenommen. Überhaupt entwickelte sich Italien 2019 mit 98 Festnahmen und 22 Anschlägen zu einem sogenannten Hotspot. Besonders die Federazione Anarchica Informale (FAI, Informelle Anarchistische Föderation) weitete ihre Aktionen deutlich aus. Die FAI hat sich besonders auch auf Briefbomben spezialisiert. Neben Italien gab es die meisten linksextremistischen Taten in Griechenland und Spanien.

Islamistische Anschläge nehmen kontinuierlich ab

Das rechtsextremistische Spektrum kam dagegen „nur“ auf sechs Anschläge. Allerdings wurde nur einer dieser Anschläge auch wirklich durchgeführt, ein versuchter Anschlag mißlang, und vier wurden von den Sicherheitsbehörden im Vorfeld vereitelt. Ein Jahr zuvor hatte es allerdings nur einen einzigen gegeben. Von diesen sechs Anschlägen fanden vier in Großbritannien statt, einer in Polen und einer in Litauen. Auch in Deutschland gab es dem Bericht zufolge mehrere rechtsextremistische Attentate, wie etwa das in Halle, allerdings erfüllten diese gesetzlich nicht den Straftatbestand des Terrorismus. 

Von Dschihadisten wurden 2019 durch drei durchgeführte und vier mißlungene Anschläge in Europa insgesamt elf Menschen getötet. Die drei Anschläge, die nicht verhindert werden konnten, fanden in Utrecht/Niederlande, Paris/Frankreich und London/England statt. Mit Ausnahme eines Anschlags wurden alle anderen von Einzelpersonen durchgeführt. 2018 hatte es allerdings noch 14 terroristische Attacken durch Islamisten gegeben. 

Während sich Rechtsextremisten nach Erkenntnissen Europols vor allem in Online-Gruppen organisieren und sich vor Ort, etwa bei Konzerten, zu Anschlägen verabreden, sind Islamisten in erster Linie in Netzwerken organisiert. Zwar habe der Islamische Staat (IS) seine letzte Bastion in Syrien inzwischen verloren, habe sich im Untergrund aber weiter organisiert und werde durch Hunderte europäischer Bürger unterstützt. Auch Al-Kaida sei weiterhin im verborgenen aktiv und plane Anschläge auf westliche Ziele. Die Zahl verhafteter Islamisten nahm nach Angaben Europols jedoch seit 2016 kontinuierlich ab, von 718 Personen über 705 in 2017 und 511 in 2018 auf nunmehr 436 Terroristen im vergangenen Jahr. Die meisten davon (202) in Frankreich, gefolgt von Spanien (56) und Österreich (43). In Deutschland wurden 32 Personen verhaftet.

Nach Erkenntnissen von Europol gibt es derzeit kaum noch Ausreisen von Islamisten oder ihren Unterstützern von Europa nach Syrien in den Iran, den Irak oder nach Afghanistan. Die militärische Niederlage des IS hat diese zeitweise größeren Bewegungen nahezu vollständig gestoppt. 

Dagegen gibt es nach wie vor zahlreiche Rückkehrer, die sich dem IS angeschlossen haben. Problematisch seien die in vielen europäischen Staaten unterschiedlichen Gesetze, wie diese Menschen zu behandeln seien. Auch hätten die Sicherheitsbehörden festgestellt, daß rückkehrende Frauen sich nicht nur auf ihre Rolle als Ehefrau oder Mutter reduzieren ließen, sondern viele von ihnen eine fanatische Einstellung hätten. 

Radikale Basken wenden sich von ETA ab 

Die meisten Terroranschläge wurden 2019 allerdings aus ethno-nationalistischen und separatistischen Gründen verübt. Europol zählte insgesamt 57 derartige Anschläge, nach allerdings noch 83 im Jahr zuvor. 55 dieser Terrorakte gab es von separatistischen republikanischen Organisationen gegen britische Ziele in Nordirland. Ein weiterer wurde direkt in England ausgeführt. In Spanien entstand im Jahr 2019 eine Reihe radikalerer Fraktionen, die die politische Autorität der baskischen ETA-Bewegung in Frage stellen. Auf Korsika proklamierten im September 2019 fünf maskierte Personen – eine mit einer Jagdwaffe posierend – die Gründung der „FLNC per l’independenza“. Im Dezember übernahm die Bewegung „FLNC des 22. Oktober“ die Verantwortung für die teilweise Zerstörung der Villa eines Geschäftsmannes. Sorge bereitet Europol, daß sowohl der Separatismus als auch der Terrorismus von vielen Europäern finanziell unterstützt wurde, unter anderem auch durch Überweisungen im Ausland lebender Bürger dieser Länder.