© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/20 / 03. Juli 2020

„Macht bloß nichts kaputt“
USA: Die „Black Lives Matter“-Bewegung hat auch Großkonzerne und die Wirtschaftswissenschaft erreicht
Elliot Neaman

Die Zahl der Corona-Infizierten ist in den USA auf 2,6 Millionen geklettert. Über 126.000 sind an Covid-19 gestorben – mehr als im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Seit März haben 43 Millionen Beschäftigte zumindest zeitweise ihren Arbeitsplatz verloren. Millionen können ihre Miete oder ihre Raten fürs Haus nicht mehr bezahlen. Die US-Notenbank Fed rechnet mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 6,5 Prozent – das wären 1,4 Billionen Dollar. Zum Vergleich: Deutschlands Bruttoinlandsprodukt betrug 2019 3,8 Billionen Dollar. Daß Donald Trump nun die legale Einwanderung und die Arbeitsvisavergabe bis Jahresende aussetzt, freut seine Wählerbasis. Doch ob wirklich eine halbe Million erwerbslose Amerikaner davon profitieren, ist fraglich.

Boykottkultur gegen Personen und Firmen

Dennoch sorgt weiter die „Black Lives Matter“-Bewegung für Schlagzeilen. Diese hat auch sozioökonomische Ursachen, sind doch unter den Sars-CoV-2-Opfern, Nichtkrankenversicherten, Entlassenen oder Empfängern von Lebensmittelhilfe (SNAP) überproportional viele Afroamerikaner. Es ist aber zugleich eine Protestform auf die Straßen gekommen, die in den Colleges und Unis seit Jahren für Unruhe sorgt. Es begann mit Boykotten gegen „politisch unkorrekte“ Dozenten und Gastredner, begleitet von Forderungen nach „safe spaces“ – Schutzräumen, in denen Sensibelchen vor jedweder Diskriminierung und verletzender Sprache behütet werden.

Vor Seminaren mit „brisanten“ Inhalten sollte es „Trigger-Warnungen“ geben. Professoren, die der „Mikro-Aggression“ beschuldigt werden, haben einen schweren Stand. Akademischen Rückhalt findet dies in der Theorie der „Intersektionalität“. Diese behauptet die Überschneidung und die Gleichzeitigkeit verschiedener Vorurteile, die dann in die gesetzliche Verankerung einer institutionell-systemischen Diskriminierung von Minderheiten führten.

Die daraus entstandene Boykottkultur gegen Personen und Firmen, die durch umstrittene Aussagen oder Handlungen Anstoß erregt haben, wurde durch Kampagnen auf Facebook, Twitter & Co. verstärkt. Neu ist, daß auch Großkonzerne mitmachen: Johnson & Johnson bietet seine „Band-Aid“-Pflaster in schwarzem Hautton an, Starbucks läßt „Black Lives Matter“-Shirts drucken, und GM-Chefin Mary Barra verkündete, „zehn Millionen Dollar an Organisationen zu spenden, die sich für Inklusion und Rassengerechtigkeit einsetzen“. Selbst der kleine Autoimporteur Subaru überwies eine halbe Million Dollar an die Equal Justice Initiative.

Amerikaner aus der Mittel- und Oberschicht sowie Firmen, die auf treue Kunden angewiesen sind, können sich damit bequemer arrangieren als etwa mit dem emphatischen Antikapitalismus eines Bernie Sanders – schließlich erfordert eine Petition gegen Rassismus keine radikalen Änderungen ihres Lebensstils.

Der Protest gegen Polizeigewalt nach dem Tod von George Floyd mutierte inzwischen zu einem Frontalangriff gegen alles, was irgendwie „rassistisch“ sein könnte – von Präsidenten-Denkmälern bis hin zu „Uncle Ben’s“-Reis (Mars Inc.) und „Aunt Jemima“-Sirup (PepsiCo.). Dieser Wirbel hat auch Harald Uhlig mitgerissen, einen angesehenen Professor an der University of Chicago, der über Nacht in Ungnade gefallen ist.

Am 9. Juni kommentierte der in Bonn geborene Ökonom die Straßenproteste via Twitter: „George Floyd und seine Familie haben es eigentlich nicht verdient, von Vertretern der ‘Die Erde ist eine Scheibe’-Lehre und Kreationisten übervorteilt zu werden. Tja. Zeit für seriöse, ernste, von gegenseitigem Respekt geprägte Gespräche zwischen vernünftigen Erwachsenen: etwa über Vorschläge (von Demokraten) zur Polizeireform und über nationale Heilung. Wir brauchen mehr Polizisten, wir müssen ihnen mehr Gehalt zahlen und sie besser ausbilden.“ Und legte mit einem Tweet nach: „Okay: Ich verstehe, daß einige weiterprotestieren wollen und den Finanzentzug oder die Abschaffung der Polizei fordern, solange sie noch jung sind und Verantwortung keine Rolle spielt. Viel Spaß! Sagt eure Meinung! Macht bloß nichts kaputt, okay? Und seid um acht wieder zu Hause.“

Mehr als Neokeynesianer gegen die „Chicago School“

Die Reaktion kam promt – der weiße, aber linksliberale Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman befand, Uhligs Tweets zeugten von Arroganz und Empathiemangel. Ein afroamerikanischer ehemaliger Student beschuldigte Uhlig, sich vor sechs Jahren in einem Seminar despektierlich über Martin Luther King geäußert zu haben. Uhligs Arbeitgeber leitete umgehend ein Ermittlungsverfahren ein. Ein kritischer New York Times-Artikel fachte das Feuer weiter an. Am 11. Juni wurde Uhlig als Herausgeber des angesehenen Journal of Political Economy beurlaubt. Ein paar unbedachte Sätze hatten ihn an den virtuellen Social-Media-Pranger gestellt und sofort seine berufliche Laufbahn in Gefahr gebracht.

Uhlig identifiziert sich als libertär, als „unbedingten Verfechter der Redefreiheit und der Freiheit im allgemeinen“ – wäre er bekennender Trump-Anhänger, wäre die Reaktion wohl noch massiver ausgefallen. Uhlig findet, daß bei der Repräsentation von Afroamerikanern oder Frauen in akademischen Spitzenpositionen der Wirtschaftswissenschaften Nachholbedarf besteht. Seine Ankläger wird das kaum beschwichtigen – und er ist nicht das letzte Opfer in einer langen Reihe ähnlicher Vorfälle.

Sonya Forte Duhé, Direktorin der New Orleans School of Mass Communication der Loyola University, etwa sollte ab 1. Juli die Fakultät für Journalismus an der Arizona State University leiten. Nachdem sie in einem Tweet ihre Unterstützung „für die Familie von George Floyd, die guten Polizeibeamten, die für unsere Sicherheit sorgen, meine Studierenden, den Lehrkörper und alle Mitarbeiter“ bekundet hatte, wurde ihr Vertrag für ungültig erklärt. 

Gordon Klein, der an der University of California in Los Angeles Rechnungswesen lehrt, muß sich einem Ermittlungsverfahren unterziehen, nachdem er sich weigerte, den Forderungen schwarzer Studierender auf Befreiung von ihren Abschlußprüfungen aufgrund des Tods von George Floyd stattzugeben. Klein erhielt Todesdrohungen und steht nun unter Polizeischutz.

Man könnte Uhlig Naivität vorwerfen – immerhin promovierte er an der University of Minnesota, lehrte von 1990 bis 1994 in Princeton und von 2000 bis 2007 an der linken Berliner Humboldt-Universität. Er hätte die Folgen seiner Äußerungen absehen können. Die anhaltende Debatte zwischen Uhlig als Anhänger der von Milton Friedman begründeten „Chicago School“ und Neokeynesianern wie Krugman oder der Ex-Fed-Chefin Janet Yellen dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben.

Doch der Fall Uhlig ist vor allem ein weiteres Indiz für die Gefährdung der Meinungsfreiheit unter der Herrschaft einer neuen Generation von Jakobinern, deren Machtergreifung durch ihre Eltern, Lehrer und eine verschüchterte Allgemeinheit ermöglicht wurde. Wie heißt es in George Orwells „1984“ so treffend: „Wir wissen, daß nie jemand die Macht in der Absicht ergreift, um sie wieder abzutreten. Die Macht ist kein Mittel, sondern ein Endzweck. Der Zweck der Macht ist die Macht.“






Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco.