© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Birk Meinhardt hat eine leise, aber eindringliche Anklage der Medien geschrieben.
Chronist des Verrats
Sebastian Hennig

Wenn politische Sprachregelungen den Vorwurf einer wiedererstandenen DDR provozieren, dann weiß Birk Meinhardt besser als jeder andere, wovon die Rede ist. In den achtziger Jahren hat er an der Leipziger Karl-Marx-Universität Journalismus studiert. Die wurde „Rotes Kloster“ genannt, nicht nur wegen der Fassade aus Porphyr, vor allem wegen der Stasi-Beaufsichtigung. Die Absolventen hatten von der Wahrheit jene Teile wegzulassen, die dem Klassenfeind in die Hände spielen könnten. Sogar die Sportberichterstattung brachte Konflikte mit der herrschenden Doktrin.

Einen Berufswechsel verwarf der 1959 in Ost-Berlin geborene Birk Meinhardt jedoch zu Recht, denn Schreiben konnte er schon damals besser als alles andere. Als Sportreporter der Jungen Welt und Wochenpost, einer der auflagenstärksten Wochenzeitungen im SED-Staat, hatte er schon vor der Wiedervereinigung bei Westkollegen Kredit erworben, der ihn 1992 zum ersten DDR-Journalisten der Süddeutschen Zeitung werden ließ.

In seinem eben erschienenen „Jahrebuch“ (analog zu Tagebuch) mit dem beredten Titel „Wie ich meine Zeitung verlor“ beschreibt er, wie euphorisierend das neue Betätigungsfeld zunächst wirkte. Im Gegensatz zur kompromißorientierten Tätigkeit zuvor eröffneten sich traumhafte Perspektiven. Bald wechselt er vom Sportressort zur „Reportage“ und wurde darin zweimal mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet.

Doch seit Jahren schreibt er nicht mehr für die SZ, hat unterdessen zwei Romane vorgelegt: „Brüder und Schwestern“ und die gleichnamige Fortsetzung. Er verheimlicht nicht, wie die Großzügigkeit seiner Vorgesetzten ihm die Entwicklung vom Reporter zum Romancier ermöglichte. Zugleich dokumentiert er aber akribisch die Geschichte einer Entfremdung. So sachte und selbstkritisch hat dergleichen bislang noch niemand getan. Aus kleinen Störungen der Harmonie trat nach und nach ein großer Riß hervor: „Es ist ein trauriges Buch“, sagt Meinhardt dem Bayerischen Rundfunk, denn er dachte damals, dies sei „das journalistische Paradies ... war’s auch einige Zeit“. Doch dann wird erstmals 2004 eine kritische Reportage zur Deutschen Bank nicht gedruckt – nach Einspruch des Wirtschaftsressorts. 2010 ist es ein Bericht über zwei unschuldig verurteilte Rechtsextremisten, und Meinhardt begegnet exakt jener Argumentation von früher wieder: Diese Wahrheit könnte den Falschen nützen – „Rechten als Testat (dienen), sie würden ungerechtfertigterweise verfolgt“. 

Ein dritter Fall 2017 führt zum Bruch. Weil, so Meinhardt, in Zeiten, die nur Haltung fordern, Differenzierung „als Verharmlosung abqualifiziert“ werde. So trügen die Medien selbst „Riesenschuld an der Verhärtung der (gesellschaftlichen) Fronten“, die sie so beklagten. Sorgfältig und getreulich dokumentiert Birk Meinhardt den Verrat der Presse an sich selbst.