© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Ländersache: Sachsen
Ja, mir san mit’m Radl da
Paul Leonhard

Die sächsische Metropole Leipzig ist mit 1.700 gestohlenen Fahrrädern auf 100.000 Einwohner nicht nur Deutschlands Hauptstadt der Fahrraddiebe, sondern auch ein Ort, in dem Polizisten illegal mit beschlagnahmten Zweirädern handeln. Die preisgünstigen Fahrräder aus der Asservatenkammer der Polizeidirektion Leipzig wurden sogar von Beamten anderer Regionen erworben, zum Stückpreis zwischen 20 und 100 Euro. Das belegen beschlagnahmte Quittungen. Hunderte wurden zwischen 2015 und 2019 veräußert, nach Medienberichten insgesamt rund tausend hochwertige Fahrräder.

Als der illegale Fahrradhandel aufflog, riet Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze wegen der „Anzahl betroffener Beamter und der veranlaßten Maßnahmen“ dazu, mit den Vorgängen transparent umzugehen, weil sie sonst „gegebenenfalls skandalisiert“ würden. Doch Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) befürchtete angeblich, dies könnte die Aufklärung gefährden.

Als die Medien dann doch Wind von den Vorgängen bekamen, wurde gegen einen Journalisten des Portals Tag 24, das als erstes über die Fahrrad-Affäre berichtet hatte, Anzeige wegen Verleumdung gestellt. Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits gegen 120 Personen wegen des Verdachts der Bestechung, der Bestechlichkeit oder Strafvereitelung im Amt ermittelt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft in 50 Fällen gegen Beamte und Angestellte der Polizeidirektion, in zehn gegen Bereitschaftspolizisten, in zwei gegen Beamte des Landeskriminalamtes, in einem Fall gegen einen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft. Hauptverdächtige ist eine Polizeihauptmeisterin, die als Angehörige der inzwischen aufgelösten Ermittlungsgruppe „Zentrale Bearbeitung der Fahrradkriminalität“ Zugang zu den Asservaten hatte. Sie soll die Fahrräder über einen Verein weiterverkauft haben. Die Schuld für die fehlende Transparenz schiebt Wöller nun der Staatsanwaltschaft Leipzig zu. Die sei als zuständige Ermittlungsbehörde auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Tatsächlich hält man sich dort noch immer bedeckt: Es handle sich um „Dienstgeheimnisse, die nicht verraten werden“ dürften.

Auf einer Sondersitzung des Innenausschusses des Landtages gab Wöller an, sein Haus sei Ende Dezember vergangenen Jahres über die Ermittlungen informiert worden, und er habe daraufhin den Landespolizeipräsidenten beauftragt, „korruptionsbegünstigende Strukturen in der Asservatenverwaltung der Polizeidirektion Leipzig“ zu untersuchen. 

Der Minister versuche jetzt, den „Schwarzen Peter der Staatsanwaltschaft zuzuschieben“, kritisierte die Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz. Aber auch von den Koaltitionspartnern SPD und Grünen kommt Kritik. Von einer „Vertuschung des Vorgangs“ durch den Minister spricht Albrecht Pallas, Innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Und der grüne Innenpolitiker Valentin Lippmann hat den Eindruck, der Minister wolle Landtag und Öffentlichkeit „an der Nase herumführen“. Wöller selbst sagte, der Schaden sei immens, die Vorgänge unentschuldbar, meinte damit aber nicht sein eigenes Handeln, sondern den Hehlerring in der Polizei. Dabei lautet das Motto des Landeskriminalamtes beim Thema Fahrradkriminalität: „Öffentlichkeit schützt vor Diebstahl“.