© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Ein falsches Wort, und du bist raus
Zensur auf Facebook und Co.: Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen „Haßrede“ verschwinden politisch unbotmäßige Kanäle im Orkus
Gil Barkei

Es erscheint skurril: Die Berichte von Sperrungen und Löschungen in sozialen Netzwerken reißen nicht ab, und trotzdem erhöhen Politik, Medienbranche und nun auch die Wirtschaft den Druck auf die Internetunternehmen. Der Vorwurf: Ungenügendes Vorgehen gegen „Haßsprache“ und manipulierte Inhalte.

Nachdem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg im Zuge der „Black Lives Matter“-Revolte bereits massiven Mitarbeiterprotesten nachgegeben und eine Richtlinienüberprüfung zu „staatlichen Gewaltandrohungen“, „verletzenden Inhalten“ und „Wähler-Beeinflussungen“ angekündigt hatte (JF 26/20), wird sein US-Konzern nun verstärkt gegen „Haß“ und Falschnachrichten vorgehen.

Boykott ließ den Kurs der Facebook-Aktie einbrechen

So soll Werbung, die Ethnien, Religionen oder Geschlechter als Bedrohung zeichnet, blockiert werden. Beiträge von Politikern sollen – solange sie nicht zu Gewalt aufrufen – dabei zwar nicht gelöscht, aber mit einem Warnhinweis versehen werden. Facebook schwenkt damit auf den Kurs des Konkurrenten Twitter ein, der bereits in den vergangenen Wochen mehrere Tweets des US-Präsidenten Donald Trump markiert hatte. Ein Video erhielt beispielsweise die blaue Ergänzung: „Manipulierte Medien!“

Die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten am 3. November sind so endgültig in den Fokus der sozialen Medien gerückt. Facebook will ab 72 Stunden vor dem Urnengang fehlerhafte Meldungen zum Wahlablauf komplett löschen. Bis dahin sollen Beiträge und Spots mit Bezug zur Stimmabgabe mit einem Link zum eigens aufgebauten „Voting Information Center“ versehen werden. Allerdings hat Facebook bereits eine Anzeige Trumps zensiert, weil sie angeblich ein nach unten gerichtetes rotes Dreieck enthielt, welches an das Symbol für politische Häftlinge in nationalsozialistischen Konzentrationslagern erinnere.

Dem folgte Anfang Juli eine regelrechte Löschwelle, bei der Zuckerbergs Unternehmen 220 Accounts des eigenen Unternehmens und 95 des Tochterunternehmens Instagram mit Nähe zur sogenannten Boogaloo-Bewegung in den USA löschte, nachdem diese firmenintern als „gefährliche Organisation“ eingestuft worden war. Die lose Gruppierung stellt sich bewaffnet auf einen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung ein. Sie bemühe sich „aktiv darum, für Gewalt gegen Zivilpersonen, Sicherheitskräfte, Beamte und Regierungsinstitutionen zu werben“, erklärte Facebook. Parallel löschte der Konzern weitere 400 Gruppen und 100 Seiten wegen vermeintlicher Verstöße gegen seine Richtlinien.

Den neuen Maßnahmen vorausgegangen war ein Boykott zahlreicher Firmen gegen mehrere Online-Netzwerke, insbesondere gegen Facebook. Unter dem Hashtag #StopHateForProfit unterbrachen der Software-Hersteller Mozilla, der Eisproduzent Ben & Jerry’s sowie die Modemarken North Face, Patagonia, Levi’s und Eddi Bauer ihre Werbung für den Monat Juli auf Facebook. Man wolle „bedeutende Veränderungen sehen“, forderte der Filmverleiher Magnolia Pictures, der sich ebenfalls dem Werbeboykott anschloß.

Zunächst hatte die Aktion keinen größeren Einfluß auf den Aktienkurs; dieser stieg zwischenzeitlich an der Nasdaq sogar auf ein neues Allzeithoch von 245 Dollar. Doch dann streikten immer mehr Unternehmen und nahmen alle Online-Netzwerke ins Visier. Unilever, Pepsi, Honda, Starbucks und Coca-Cola zogen sämtliche Anzeigen auf Facebook, Instagram und Twitter zurück. 

Aus Deutschland reihten sich unter anderem Volkswagen, Puma, SAP, Henkel und Adidas ein. Über 250 Firmen beteiligen sich mittlerweile an der „Stop Hate For Profit“-Kampagne, die von der NGO „Anti-Defamation League“ in Partnerschaft mit anderen Minderheiten-Organisationen wie „Color of Change“ oder der „National Hispanic Media Coalition“ initiiert worden war. Facebooks Börsenwert brach daraufhin um 56 Milliarden Dollar ein, wenn auch nur kurzzeitig.

„Die Bücherverbrennung ist im vollen Gange“

In der Bunderepublik wurde der Boykott auffälligerweise von einer Negativ-Berichterstattung über Facebook flankiert. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten BR, NDR und WDR warfen Facebook im Zuge ihres Projekts #Hassmaschine vor, nicht ausreichend gegen rechtsradikale Hetze vorzugehen. Bei 2,6 Millionen Beiträgen in 138 meist geschlossenen Gruppen des vermeintlich rechten Spektrums haben die Sender nach eigenen Angaben rund 10.000 zum Teil rassistische Beleidigungen sowie über tausend mutmaßlich rechtswidrige Inhalte von Vergewaltigungsaufrufen bis zur antisemitischen Propaganda gefunden.

Der Datensatz reicht jedoch teilweise zehn Jahre zurück und ist, wie die Sender selbst darlegen, nicht repräsentativ. Trotzdem formulieren sie auf der Netzseite der Tagesschau einen schweren Vorwurf: Facebook habe „in der Vergangenheit gezielt versucht, schärfere Regeln abzuwenden“. Bereits 2015 – sprich zu Beginn der Flüchtlingskrise – habe sich Facebook bemüht, „eine geplante gemeinsame Erklärung zur Gründung einer Anti-Hatespeech-Taskforce in seinem Sinne“ abzuändern. „Die Vorstellungen von Facebook zielen im Moment aber auf eine so weitgehende Aufweichung, daß wir uns wohl überlegen müssen, wie wir mit einem Scheitern der Gespräche umgehen würden“, wird dazu eine Einschätzung aus dem Justizministerium aus dem Dezember 2015 zitiert.

Soll jetzt also eine (Selbst-)Beschränkung der sozialen Netzwerke auf „freiwilliger“ Ebene abgeschlossen werden, die bisher nur auf politischen Druck mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) möglich war? Immerhin hatte Facebook anfangs gegen das Ende 2017 beschlossene NetzDG protestiert und betont, als Privatunternehmen nicht über strafbare Inhalte urteilen zu können. Mit den Jahren ist der gesetzliche Rahmen noch strenger geworden. Mitte Juni hat der Bundestag das NetzDG verschärft. Online-Plattformen sind nun verpflichtet, Mordaufrufe, Drohungen und Beiträge mit volksverhetzendem Inhalt direkt den Strafverfolgungsbehörden zu melden und entsprechende Daten an das BKA weiterzuleiten.

Zudem verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket gegen „Haß im Netz“. Ankündigungen von Straftaten nur zu „liken“ ist damit jetzt strafbar. Für Beleidigungen drohen künftig Haftstrafen von bis zu zwei Jahren; für Morddrohungen bis zu drei Jahren. „Wer hetzt und droht, muß mit Anklagen und Verurteilungen rechnen. Das sind entschlossene Schritte gegen Menschen- und Demokratiefeinde, die ein gefährliches Klima der Gewalt schüren“, betonte dazu Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). BR, NDR und WDR kritisieren jedoch, daß es immer noch keine „gesetzliche Verpflichtung“ gebe, „aktiv nach diesen Inhalten zu suchen“.

Längst gehen angesichts des gestiegenen polit-medialen wie wirtschaftlichen Drucks auch andere soziale Medien gegen unliebsame Inhalte vor. Das Online-Forum Reddit sperrte vergangene Woche 2.000 Gruppen, weil in ihnen Haß-Botschaften ausgetauscht worden seien. Allein die betroffene Trump-Unterstützer-Gruppe „The_Donald“ hatte über 800.000 Mitglieder. Auch das Unterforum „GenderCritical“, das vielleicht größte Forum im Internet für genderkritische Ansichten und Diskussionen, wurde wegen „Haßrede“ entfernt. Das Live-Streaming-Portal Twitch, das zum Amazon-Imperium des Trump-Kritikers Jeff Bezos gehört, ging noch einen Schritt weiter und machte gleich den offiziellen Kampagnenkanal des US-Präsidenten wegen „haßerfüllter Inhalte“ dicht.

Auf der Video-Plattform Youtube verschwand der 900.000 Abonnenten starke Kanal des rechtslibertären Bloggers und Autors Stefan Molyneux. „14 Jahre meines Lebens, Tausende Videos, Millionen an Kommentaren, Hunderte Millionen Aufrufe und nahezu eine Million Abonnenten sind einfach zerstört worden“, bedauerte der 53jährige und warnte: „Die Bücherverbrennung ist im vollen Gange.“

Gleichfalls gelöscht wurde der Kanal des rechten Magazins American Renaissance, der rund 135.000 Abonnenten hatte. „Wer hätte in der Zeit des Eisernen Vorhangs vermutet, daß sich die Amerikaner 30 Jahre später gegenseitig einen Maulkorb anlegen würden“, kommentierte dessen Chef Jared Taylor das sogenannte „Deplatforming“. Der Podcast „NPI/RADIX“ von Richard Spencer ist ebenfalls nicht mehr auf Youtube zu finden. Spencer gilt als zentrale Figur der Alt-Right-Bewegung. „Dies scheint Teil einer systematischen, koordinierten Anstrengung zu sein“, sagte der 42jährige auf Twitter.

„Wir haben strenge Richtlinien, die Haßreden auf Youtube verbieten und beenden jeden Kanal, der wiederholt gegen diese Richtlinien verstößt“, begründete ein Sprecher des Videoportal-Unternehmens die Vorgänge. „Nachdem wir unsere Richtlinien aktualisiert hatten, um besser auf rassistische Inhalte eingehen zu können, sahen wir einen fünffachen Anstieg bei der Entfernung von Videos und haben über 25.000 Kanäle wegen Verstoßes gegen unsere Richtlinien für Haßreden eingestellt.“

In Deutschland beklagt der Journalist und frühere Focus-Korrespondent Boris Reitschuster (JF 7/20) eine Zensur bei Youtube. Reitschuster hatte auf dem Kanal zu seinem Blog reitschuster.de einen ihm zugespielten Audiomitschnitt eines Polizisten aus der Krawallnacht in Stuttgart (JF 27/20) veröffentlicht. Der Beamte schilderte darin die Situation als „Krieg: Wenn du eine Uniform trägst, dann bist du nur Opfer, ein Wunder, daß keiner erschossen worden ist. Da kommt noch was auf uns zu!“ 

EU-Kommission übt Druck aus mit neuen Gesetzen

Das Video wurde laut Reitschuster in weniger als 24 Stunden fast 30.000 Mal aufgerufen, bis es Youtube plötzlich wegen eines Verstoßes gegen die „Richtlinien zu Haßrede“ sperrte. Und eine Drohung aussprach: „Da es dein erster Verstoß ist, ist dies nur eine Warnung. Wenn du eine weitere Verwarnung erhältst, wird dein Kanal verwarnt und du kannst eine Woche lang keine Videos hochladen, Beiträge posten und Inhalte live streamen. Wenn du eine zweite Verwarnung erhältst, darfst du zwei Wochen keine Inhalte veröffentlichen. Wenn du drei Verwarnungen innerhalb von 90 Tagen erhältst, wird dein Kanal endgültig gelöscht.“

Parallel zur Zensur freier Medienangebote und alternativer Stimmen üben die Technologieriesen den Schulterschluß mit den Mainstreammedien. Google, zu dem Youtube gehört, bezahlt künftig FAZ, Spiegel, Zeit, Rheinische Post und den Tagesspiegel für Artikel. Der US-Konzern will mit dem zunächst in Deutschland, Australien und Brasilien anlaufenden Programm bei Google News und Discover journalistische Inhalte anbieten und zeigt sich auch für Radio- und Fernseh-Inhalte offen. Eine neue mediale Infrastruktur aus digitalisierter Presse und privater Tech-Wirtschaft, die durch die Politik als zusätzliche „Torwächter“ eingesetzt und mit Hilfe umstrittener Gesetze und linker Initiativen kontrolliert wird, tritt immer deutlicher in Erscheinung.

Der EU reichen die nationalen Gesetzesverschärfungen und Maßnahmenoffensiven nicht aus. Ihr Ziel sind einheitliche europäische Regeln für den Digitalmarkt samt einer Art EU-NetzDG. Die Kommission arbeitet derzeit an einem „Digital Services Act“, der die 20 Jahre alte eCommerce-Richtlinie ablösen und bis Jahresende gesetzliche Vorgaben festlegen soll. Bis Anfang September können Bürger, Unternehmen und Plattformen Vorschläge zum Gesetzespaket online einreichen. Facebook, Google & Co., aber ebenso Microsoft, Mozilla, WhatsApp und Tiktok sollen schon jetzt wegen angeblicher Corona-Falschmeldungen enger mit Faktenprüfern zusammenarbeiten und monatlich detaillierte Berichte über „Fake News“, falsche Profile und die dabei festgestellten Herkunftsorte liefern.

Auch EU-Strafen soll es bald geben. Zumindest wenn es nach dem Resonanzboard geht, das der Kommission zuarbeitet und aus Verlegern, Journalisten und Verbänden wie der Europäischen Journalisten-Föderation besteht. Die Medienhäuser wittern angesichts ausgeweiteter Faktenchecker- und Ausspiel-Kooperationen zusätzliche Einkünfte. Die bisherige Zusammenarbeit und Löschaktivitäten seien nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Mit neuen Gesetzesvorhaben sei „aber der Weg in Richtung Sanktionen jetzt offen“, schreibt ausgerechnet und vielsagend Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband. „Wahrscheinlich läßt sich nur so der Kampf gegen die Fake News gewinnen.“