© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Brutal und parteiisch
Südafrika im Corona-Lockdown: Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen durch Militär / Weiße beklagen Zunahme von Diskriminierung im Windschatten der Einschränkungen
Liz Roth

Die südafrikanische Reaktion auf das Coronavirus gilt als eine der strengsten der Welt. Um eine rapide Ausbreitung des Virus einzudämmen, hatte Präsident Cyril Ramaphosa Ende März eine mehrwöchige strikte Abschottung für sein Land befohlen, die bis heute nur zum Teil gelockert worden ist. Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, warnte daher, daß Südafrika im Namen der Bekämpfung des Coronavirus die Rechtsstaatlichkeit in einem Maße mißachte, die zu einer „menschlichen Katastrophe“ führen könnte. Sie forderte Südafrika auf, von Verletzungen der Grundrechte „unter dem Deckmantel von Ausnahme- oder Notfallmaßnahmen“ abzusehen.

Zu den extremen Maßnahmen gehören unter anderem eine allgemeine Ausgangssperre zwischen 20 und 5 Uhr Uhr, die Erlaubnis sportlicher Aktivitäten außerhalb des eigenen Hauses nur zwischen sechs und neun Uhr oder auch das Verbot von Tabak und Alkohol. Die zuständige Ministerin Nkosazana Dlamini-Zuma begründete den Bann damit, daß Raucher gefährdeter für Komplikationen durch Covid-19 seien und somit das Gesundheitssystem strapazieren könnten. Der Verkauf von Alkohol wurde verboten, um Tausende Betten für etwaige Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern freizuhalten. Laut Informationen der BBC stehen von normal 34.000 wöchentlichen Notfallpatienten knapp 40 Prozent der Fälle in Zusammenhang mit Alkoholkonsum.

Zwar hat sich in dieser Zeit die Zahl der Krankenhauseinlieferungen um zwei Drittel verringert, aber die Verbote schufen auch einen boomenden illegalen Handel und enorme Möglichkeiten für organisierte Kriminelle.

Eine Flut von Einbrüchen in Geschäfte mit Alkohol

„Dies hat dem organisierten Verbrechen einen massiven Aufschwung gegeben. Die Nachfrage ist die gleiche geblieben, aber die Angebotsseite hat sich einfach in die Kontrolle der illegalen Industrie verlagert. Es wird sehr schwierig sein, diese zurückzudrängen“, schätzt Gareth Newham, ein Kriminalitätsexperte am südafrikanischen Institut für Sicherheitsstudien, der sich mit den Konsequenzen des Lockdowns auseinandersetzt. Die Polizei berichtet über eine Zunahme des Schmuggels von Waren aus den Nachbarländern und eine Flut von Einbrüchen in Geschäfte, die Alkohol lagern.

Zu Beginn des Lockdowns hatte die Regierung knapp 3.000 Soldaten der Nationalen Verteidigungsstreitkräfte bereitgestellt, um die Polizei bei der Einhaltung der Corona-Maßnahmen zu unterstützen. Kurze Zeit später wurden mehr als 70.000 weitere Soldaten eingesetzt. Laut eines Dossiers der Bürgerrechtsorganisation AfriForum haben die Behörden bis heute über 230.000 Verfahren gegen Personen wegen Verstoßes gegen die Sperrmaßnahmen eingeleitet. Zur gleichen Zeit gab es immer wieder Berichte über die Brutalität der Einsatzkräfte, und es wurden über 200 Fälle offiziell bestätigt.

„Alleine in den ersten zwei Wochen waren neun südafrikanische Bürger von Mitgliedern der Polizei und den Streitkräften im Zusammenhang mit der Verletzung von Sperrvorschriften getötet worden. Soldaten wurden unter anderem beschuldigt, einen Mann mit einem Sjambok, einer Nilpferdpeitsche, zu Tode geprügelt zu haben“, berichtet Ernst Roets, Leiter des Bereichs Politik beim AfriForum.

Videos in den sozialen Netzwerken zeigen Soldaten, die Menschen treten und sie zwingen, sich auf den Boden zu rollen. Andere wurden zum Froschmarsch gezwungen, bis sie ihre Häuser erreichten.

Der Tod von Collins Koza, einem Bewohner des Alexandra-Townships in Johannesburg, hat besondere Empörung erregt. Soldaten waren in sein Haus eingedrungen und schlugen ihn, weil er Bier trank und einige weitere Flaschen in seinem Kühlschrank aufbewahrte. Nach Angaben des Zeugen Nomsa Montsha gegenüber der Deutschen Welle starb er drei Stunden nach den Schlägen: „Er legte sich einfach auf den Boden, ohne sich zu bewegen. Plötzlich machte er eine Bewegung, öffnete die Augen und drückte meine Hand fest zusammen. Das war sein letzter Atemzug.“ Bei einem anderen Vorfall wurde eine ganze Familie angegriffen, weil sie sich vor ihrem Haus versammelt hatte. „Eine Polizistin trat mir gegen den Kopf, ich fiel zu Boden. Ihr männlicher Kollege begann, an mir zu ziehen und mich herumzuschubsen, während ich am Boden lag“, beschrieb eines der Opfer die Tortur.

Polizeiminister Bheki Cele hatte seinen Streitkräften diesen harten Kurs angeordnet. „Es ist zutiefst beunruhigend, wenn es hochrangige politische Führer gibt, die Polizeibeamte dazu ermutigen, Gewalt anzuwenden oder das Gesetz zu brechen. Es scheint, als sei der Polizeiminister abtrünnig geworden“, erklärt Sicherheitsexperte Newham. Der Verteidigungsminister Nosiviwe Mapisa-Nqakula verurteilte das Vorgehen der Soldaten und bekräftigte, daß derzeit gründliche Untersuchungen durchgeführt würden.

Der harte Lockdown hat die Menschen im Land an ihre Grenzen gebracht. Der staatliche Fernsehsender SABC zeigt immer wieder Bilder von kilometerlangen Schlangen von Menschen, die sich für Lebensmittelpakete anstellen.

Hotel schließt, weil weißer Besitzer keine Hilfen erhält

Für die weiße Minderheit ist diese Zeit besonders herausfordernd, da sie nur bedingt Anrecht auf Unterstützung hat. Arme Weiße sind auf Lebensmittel und Versorgungspakete von regierungsunabhängigen Hilfsorganisationen angewiesen.

Laut der Sonntagszeitung Rapport mußte das Lieblingshotel von Finanzminister Tito Mboweni im Norden des Landes 90 Prozent seiner schwarzen Angestellten entlassen, weil dem weißen Besitzer des Hotels aufgrund seiner Rasse wiederholt die Covid-19-Unterstützung der Regierung verweigert worden war. Die Demokratische Allianz, Südafrikas offizielle Oppositionspartei, wandte sich im Zuge mehrerer solcher Fälle an den Internationalen Währungsfonds, um die rassendiskriminierende Verwendung von Covid-19-Hilfsgeldern durch die Regierung zu unterbinden.

„Die Tatsache, daß die Regierung eine globale Pandemie als Deckmantel nutzt, um eine Ideologie des Rassismus und eine Agenda der Rassendiskriminierung zu fördern, ist einfach unmoralisch und kann in keiner Weise gerechtfertigt werden“, teilt Roets mit.

Es scheint, daß Ramaphosa mit seiner Reaktion auf die Pandemie vor allem die Interessen der Schwarzen fördern wolle. Der Reichtum Südafrikas sei in den Händen einiger weniger überwiegend weißer Menschen konzentriert, während die Armen und Arbeitslosen schwarz seien. „Das Anspruchsdenken der Weißen ist für die Ungleichheiten in Südafrika verantwortlich“, so der Präsident. Er wolle nun eine „grundlegend andere Gesellschaft“ aufbauen. Um dies zu erreichen, müßten zunächst „die bestehenden Institutionen zerstört“ werden.

Das Land am Kap der Guten Hoffnung bereitet sich nun auf einen möglichen zweiten massiven Lockdown vor, da die Zahl der Corona-Fälle in den Tagen nach den Lockerungen massiv angestiegen war.