© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

„Bauen, bauen, bauen“
Großbritannien: Der „New Deal“ von Brexit-Premier Boris Johnson zwischen Ursula von der Leyen und Franklin D. Roosevelt / Gigantische Neuverschuldung
Josef Hämmerling

Der Covid-19-Überlebende Boris Johnson startet durch. Vor wenigen Tagen verkündete der 56jährige Premierminister seinen „New Deal for Britain“, mit dem nicht nur das Coronavirus besiegt, sondern diese Krise genutzt werden soll, „um die großen ungelösten Herausforderungen der letzten drei Jahrzehnte anzugehen“. Dazu gehört vor allem, „die Bauwirtschaft zu stärken, das nationale Gesundheits- und Bildungssystem zu verbessern sowie die Kluft zwischen den Regionen Großbritanniens in allen Bereichen zu überwinden und damit die Einigung des Königreichs voranzubringen“.

Dies umfasse auch eine klimafreundliche Umsetzung – was allerdings eher nach Ursula von der Leyen („Green Deal“ der EU-Kommission, JF 6/20) als nach Franklin D. Roosevelt klingt. Der erfolgreiche „New Deal“ von 1933 bis 1941 des US-Präsidenten bestand aus Finanz- und Sozialreformen sowie Konjunkturmaßnahmen zur Überwindung der „Great Depression“.

In den nächsten fünf Jahren sollen 640 Milliarden Pfund (710 Milliarden  Euro) in die Infrastruktur fließen. Schon dieses Jahr bekommen die Krankenhäuser 1,5 Milliarden Pfund. Hinzu kommen 29 Straßenbauprojekte und die Digitalisierung von Schulen. Weitere Planungen sehen den Ausbau der Innenstädte sowie des Eisenbahnwesens vor – nach dem Motto: „Build, build, build!“ 5,4 Milliarden Pfund Regionalmittel fließen zu den abtrünnigen Schotten, 2,4 Milliarden Pfund nach Wales und 1,7 Milliarden Pfund nach Nordirland. Das „Project Speed“ soll den Bürokratieabbau voranbringen.

Der Umbau oder die Umwandlung von Geschäftshäusern in Wohnhäuser soll ohne langwierige Planvorgaben stattfinden können. Das gleiche gilt beim Abriß von Gewerbegebäuden, wenn stattdessen Wohnraum geschaffen wird. Mit dem Einverständnis der Nachbarn soll es ohne zeitraubendes Genehmigungsverfahren möglich sein, Häuser um weitere Etagen zu erhöhen. Die Tory-Regierung plant, die hierfür notwendigen Gesetzesänderungen bis Herbst dieses Jahres umzusetzen. Zwölf Milliarden Pfund sind für den Bau von preisgünstigen Häusern und Sozialwohnungen vorgesehen. Darüber hinaus sollen Familien, die sich das erste Mal ein Haus kaufen, eine Subvention von 30 Prozent des Kaufpreises erhalten.

Schuldenstand kletterte von 85 auf 100 Prozent

Anders als sein schwieriger Freund Donald Trump orientiert sich Johnson beim Klimathema am ewigen Thronfolger Prinz Charles: Großbritannien sei der erste große Industriestaat gewesen, der eine „vollständige Emissionsfreiheit von Schadstoffen“ bis 2050 gesetzlich verankerte, verkündet der konservative Premierminister. Angeblich seien bereits 460.000 zusätzliche Arbeitsplätze im Umweltbereich geschaffen worden – und dies soll verstärkt werden. Statt die darbenden Autowerke von Ford, Nissan, Toyota oder Vauxhall zu stützen, sollen mit zwei Milliarden Pfund „Gigafabriken“ zur Herstellung von Batterien und anderen Komponenten für Elektroautos unterstützt werden. Insgesamt sind hierfür bis zu (2,2 Milliarden Euro) vorgesehen. Es gibt aber auch wirklich Ökologisches: Bis 2025 sollen jährlich über 300 Quadratkilometer Wald neu angepflanzt oder aufgeforstet werden.

Den Brexit- und coronabedingten Stellenverlust soll das im Unterhaus mit 342 zu 248 Stimmen verabschiedete Einwanderungsgesetz abmildern. Nach der als sicher geltenden Bestätigung durch das Oberhaus wird das in der EU geltende Recht auf einen Arbeitsplatzsuche in einem anderen Mitgliedsland außer Kraft gesetzt. Künftig kommt es bei einem arbeitssuchenden Ausländer nur auf die Qualifikation für einen im Vereinigten Königreich nicht besetzten Arbeitsplatz an. Das war eines der Tory-Hauptversprechen beim Brexit. „Letztes Jahr sandte das britische Volk die klare Botschaft, daß es die Freizügigkeit beenden wolle, und unser bahnbrechendes Einwanderungsgesetz liefert genau das“, erklärte Innenministerin Priti Patel. Dies führe auch zu mehr Gerechtigkeit, da nun auch Nicht-EU-Ausländer die Möglichkeit zur Einwanderung nach Großbritannien hätten, so die 48jährige, deren Eltern aus Indien stammen.

Und wo soll das Geld für Johnsons „New Deal“ herkommen? Einerseits aus den erhofften Erträgen der keynesianischen Investitionen – und aus einer gigantischen Neuverschuldung zu faktischen Nullzinsen. Der Schuldenstand kletterte schon von 85 auf knapp über 100 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Roosevelts „New Deal“ ließ die Verschuldung nie über 50 Prozent klettern – das schaffte erst die Beteiligung am Zweiten Weltkrieg.

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