© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Kritik an NS-Vergleich
Sachsen: Siegfried Reiprich soll zurücktreten
Paul Leonhard

Es gibt eine goldene Regel für alle Menschen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen: NS-Vergleiche sind ein absolutes Tabu. Das hat nun ausgerechnet Siegfried Reiprich, seit 2009 Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, nicht beachtet, als er angesichts der Ausschreitungen in Stuttgart im Kurznachrichtendienst Twitter schrieb: „War das nun eine Bundeskristallnacht oder ‘nur’ ein südwestdeutsches Scherbennächtle?“

Prompt wurde Reiprich unterstellt, die „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938 zu verharmlosen, den von den Nationalsozialisten organisierten Pogrom gegen jüdische Einrichtungen und Menschen. Dieser „angedeutete Vergleich zwischen den jüngsten Krawallen in Stuttgart und den NS-Progromen 1938 verkennt die Wesensmerkmale von politischer Gewaltherrschaft“ und „widerspricht klar dem Sinn der Gedenkstättenarbeit“, kritisierte Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch. Die Christdemokratin ist gleichzeitig Vorsitzende des Stiftungsrates Sächsischer Gedenkstätten, der sich nun „zeitnah“ mit dem Fall beschäftigen wird.

Für die Linke ist die Affäre ein Geschenk

Reiprich wies zwar diese Gleichsetzung zurück und entschuldigte sich, aber wie anders sollte seine Äußerung interpretiert werden? Zumal zum Arbeitsgebiet des 65jährigen ehemaligen DDR-Dissidenten jene Einrichtungen gehören, die an den nationalsozialistischen und realsozialistischen Terror erinnern. Daß Reiprich tatsächlich unterschätzt hat, „wie groß das Erregungspotential und Skandalisierungsbedürfnis ist und wie intolerant das Meinungsklima“ ist, erscheint zweifelhaft. Zumal die linke Historikerzunft ihm seit Jahren verübelt, daß er „beide deutsche Diktaturen als totalitär“ bezeichnet und „damit grundlegende Unterschiede“ verwische, wie beispielsweise Jens-Christian Wagner, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten, kritisiert.

Wagner und zahlreiche Historiker und Politiker fordern den Rücktritt Reiprichs. Er selbst hatte indes bereits vor seinem diskutierten Twittereintrag angekündigt, seinen bis 2022 laufenden Dienstvertrag schon zum 30. November 2020 beenden zu wollen.

Für die SED-Nachfolger ist die Affäre ein Geschenk. Denn mit Reiprichs Ausscheiden dürfte sich der Forschungsschwerpunkt der Gedenkstätten weiter in Richtung NS-Zeit verlagern, schon um die salonfähig gewordene Linkspartei nicht mit ihrer verbrecherischen Vergangenheit zu konfrontieren.