© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Immer noch eine Institution
Die Fußballzeitschrift „Kicker“ feiert ihren 100. Geburtstag und trotzt Fernsehen und Internet
Ronald Berthold

Das erste Mal nach dem Ersten Weltkrieg kürte der DFB 1920 wieder einen deutschen Fußballmeister. Einen Monat, nachdem sich der 1. FC Nürnberg den Titel gegen Fürth gesichert hatte, erschien der Kicker mit seiner Premierenausgabe. Seitdem ist er aus der deutschen Presselandschaft nicht mehr wegzudenken. Die Sportzeitschrift, die zweimal pro Woche erscheint, begeht am 14. Juli ihren 100. Geburtstag.

2019 lag die Reichweite des Kickers bei 1,88 Millionen Lesern. Trotz Auflagenverlusten verkauft sich das Blatt montags noch 109.000- und donnerstags knapp 102.000-mal. Damit übertrumpft es zum Beispiel die Welt (86.500 Exemplare). Bei Fußball-Interessierten ist der Kicker eine Institution. Seine sachlichen Analysen erfreuen sich großer Wertschätzung. Spielberichte veröffentlicht die Zeitschrift auch auf ihrer komplett kostenfreien Webseite.

Allein im März 2020 – obwohl die Bundesliga am 8. des Monats in die Corona-Zwangspause ging – verzeichnete der Internetauftritt neun Millionen Besucher. 30 feste und freie Journalisten arbeiten für kicker.de. Die Datenbanken umfassen inzwischen mehr als zehn Gigabyte an Spielernamen und -daten, Analysen, Tabellen und Berichten. Den vielbeachteten Live-Ticker, der zeitnah die Geschehnisse auf den Sportplätzen bis hinunter zur Regionalliga und aus 80 ausländischen Ligen liefert, betreut indes ein externer Anbieter – exklusiv im Auftrag des Nürnberger Olympia-Verlages, in dem der Kicker erscheint. 

Die Sonderhefte sind Kult

Konkurrenz erwuchs dem Magazin 1988, als der Axel-Springer-Verlag die boulevardesker aufgemachte Sport-Bild herausbrachte, den Markt aufmischte und mit der Auflage sehr schnell am Traditionsblatt vorbeizog. Sie setzt derzeit jeden Mittwoch 252.000 Exemplare ab. Dennoch gilt der Kicker bis heute als das Fachblatt. Jeden Bundes- und Zweitligisten betreut ein Korrespondent. Die Redaktion sitzt in Nürnberg, weitere Redakteure arbeiten in den vier Außenredaktionen Berlin, Offenbach, Peine und Köln. Die Zeitschrift wird an bis zu zwölf Orten gleichzeitig gedruckt.

Daß sich der Fußball inzwischen zu einer teuren Ware entwickelt hat, ist für den Kicker mehr Fluch als Segen. Obwohl das Interesse an der Sportart stetig zunimmt, ist die Auflage seit 1998 um rund 60 Prozent zurückgegangen. Die Fußballberichterstattung findet heute auf allen Kanälen statt. Jedes Spiel wird live im (Bezahl-)Fernsehen gezeigt.

Zuletzt gingen die Übertragungsrechte für fast zwei Milliarden Euro vor allem an Sky und Dazn, das seine Berichterstattung weiter ausdehnt. Die Fans können zwischen vielen Angeboten wählen, bei dem der Kicker mit seinen Printausgaben nur noch eines unter vielen ist. Wer inzwischen zwei TV-Abos bezahlen muß, um alle Spiele seines Vereins sehen zu können, überlegt sich, ob er noch eine Fachzeitschrift braucht.

Als Walther Bensemann den Kicker vor hundert Jahren gründete, waren die Stadien klein, das Radio lieferte keine Live-Übertragungen, und Fernsehen gab es nicht. Das Blatt erschien damals von Konstanz aus. Über Stuttgart und Ludwigshafen ging es 1926 nach Nürnberg. Sieben Jahre später mußte Bensemann vor den Nationalsozialisten in die Schweiz flüchten, wo er ein Jahr später in der Nähe des Genfer Sees verstarb. Im September 1944 erschien dann die vorerst letzte Ausgabe der Fußballzeitschrift. Das Kriegsgeschehen hatte den Sport in Deutschland zum Erliegen gebracht.

Erst sechs Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, einen Tag nach dem Länderspiel Deutschlands gegen die Türkei, kam der Kicker wieder an die Kioske. 1946 allerdings hatte der Olympia-Verlag bereits die Zeitschrift Sport herausgegeben, die er dann in Sport Magazin umbenannte und die später zwei Mal pro Woche erschien. Beide Blätter blieben Konkurrenten, bis der Olympia-Verlag den Kicker, der inzwischen Axel Springer gehörte, erwarb und 1968 mit seinem Sport-Magazin zusammenführte. Auch wenn der traditionsreiche Name in den Titel rückte, orientierte sich das Fusionsblatt Kicker – Sportmagazin an der Aufmachung des Sport-Magazins. Der Untertitel „Sportmagazin“ fiel erst vor zwei Jahren endgültig weg.

Geblieben sind die zahlreichen Sonderhefte, die der Verlag herausgibt. Am beliebtesten bleibt die Vorschau auf die kommende Bundesliga-Saison, die mit allen Mannschaftsfotos erscheint und auch im 101. Jahr die Vorfreude auf den Beginn der nächsten Spielzeit in allen Ligen steigern wird.