© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Klimawandel, Meeresanstieg und Korruption
Für die fragile Umweltsituation der Malediven trägt das politische System Mitverantwortung
Christoph Keller

Den Rahmen der Meistererzählung „Klimawandel“ will Beate Ratter, Professorin für Geographie und Küstenforschung an der Universität Hamburg, in ihrer Studie über die Malediven nicht verrücken. Daher sieht sie den 1.200 Inseln umfassenden, jedoch zu 99 Prozent aus Wasserfläche bestehenden und von 380.000 Menschen bewohnten muslimischen Zwergstaat im Indischen Ozean vom sicheren Untergang bedroht, sollte sich der dort seit 1993 registrierte überdurchschnittliche Anstieg des Meeresspiegels fortsetzen (Geographische Rundschau, 4/20).

Ihre Untersuchungen auf dem nur 298 Quadratkilometer Landfläche umfassenden früheren britischen Protektorat gehören zum 2016 gestarteten Schwerpunktprogramm „Regional Sea Level Change and Society“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das den Meeresspiegelanstieg in Deutschland und im südostasiatischen Raum untersucht. Trotzdem kolportiert Ratter dabei nicht das in den deutschen Medien vorherrschende, monokausale „grüne“ Märchen, demzufolge die CO2-Sünden des globalen Nordens die tropischen Meere bald über die Ufer treten ließen und Heerscharen von Klimaflüchtlingen Richtung Europa treiben würden.

Bepflanzung von Seegras- und Mangrovenarealen

Dagegen gibt die Leiterin der Abteilung Sozioökonomie des Küstenraumes des Helmholtz-Zentrums Geesthacht generell zu bedenken, daß „konkrete Aussagen über die Entwicklung des Meeresspiegels schwierig sind“. Speziell für die Malediven seien solche Projektionen sogar „äußerst ungenau“, da der Inselstaat, der sich in Nord-Süd-Richtung über fast 900 Kilometer erstreckt, lediglich über drei Pegelmeßstationen verfügt. Die Umweltprobleme der 300 bewohnten Inseln, von denen 100 für den Luxustourismus erschlossen sind, seien zudem, was die vom grünen Alarmismus verstörte öffentliche Wahrnehmung aus Gründen politischer Korrektheit regelmäßig ausblendet, vorwiegend hausgemacht – und auch von den jährlich über eine Million Touristen aus Europa und China mitverursacht.

Ratter sieht dabei das für Entwicklungsländer typische Zusammenspiel zwischen korrupten einheimischen Eliten und unfähigen internationalen Organisationen am Werk. So unterstütze der UN-Anpassungsfonds (AF) primär kostenintensive Küstenschutzmaßnahmen wie betonierte Ufermauern, Uferverkleidungen oder Tetrapoden, die weitere Abtragungen und Überschwemmungen verhindern sollen. Die wirken sich jedoch extrem negativ auf die sensiblen, natürlichen Küstenökosysteme aus.

Denn diese unterlägen ständiger Dynamik, bei der die stabilisierenden Sedimente unter dem Einfluß der Meeresströmungen und Monsunwinde von Abtragungs- und Anlandungsprozessen bewegt werden. Diese dynamische Küstenmorphologie leide unter den „harten“, ohne adäquate küsteningenieurtechnische Expertise vorgenommenen Eingriffen. Anzuraten wäre statt dessen naturbasierter, kostengünstigerer „weicher“ Küstenschutz, der auf Wiederbepflanzung von Seegras- und Mangrovenarealen oder die Anlage künstlicher Korallenriffe setzt. Aber der wirke nur langfristig, und seine Effektivität sei in der Praxis noch nicht ausreichend überzeugend nachgewiesen.

Das, wie eine Umfrage der Küstenschützerin Ratters ergab, von der Mehrheit des maledivischen Volks als „korrupt“ eingeschätzte politische System führe dies mit „bewährten“ Methoden fort. Wobei es weiterhin vom weltweit beachteten PR-Gag einer 2009 initiierten Unterwasserkabinettssitzung profitiert, mit der die in Taucheranzügen verpackten Mitglieder der Regierung des damaligen Präsidenten Mohamed Nasheed auf die Klimawandelauswirkungen für Koralleninseln hinweisen wollten. Diese Aktion lenke bis heute erfolgreich vom eigenen Versagen beim Kampf gegen die Küsten­erosion ab. Die Verantwortung für die objektiv bedrohte Lage der Inseln wurde so an die Industrieländer delegiert.

Diese bewilligten dann prompt umfangreiche Hilfsmaßnahmen, um unter anderem den falschen Küstenschutz zu subventionieren. „Aber“, urteilt die Küstenschutzexpertin Ratter, „eine Fokussierung auf den Meeresspiegelanstieg und der Appell an die internationale Verantwortung greifen beim Umgang mit dem Klimawandel zu kurz“.

Regional Sea Level Change and Society:  www.cen.uni-hamburg.de/