© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

Philipp, das mißfällt mir sehr
Lobbyismus: Wegen der „Affäre Amthor“ gibt die Union ihren Widerstand gegen ein öffentliches Register von Interessenvertretern auf
Björn Harms/ Christian Vollradt

Nachdem die Lobbyismus-Affäre um den CDU-Abgeordneten Philipp Amthor im Juni ordentlich Staub aufgewirbelt hatte, werden nun auch die daraus folgenden politischen Konsequenzen absehbarer. Anfang Juli hatten sich SPD und CDU bereits auf die Einführung schärferer Transparenzregeln für Interessenvertreter gegenüber dem Bundestag und seinen Mitgliedern geeinigt. Das sogenannte Lobbyregister soll her, um Kontakte von Abgeordneten zu Unternehmen und Lobbyisten zu erfassen. Die SPD fordert solch ein Register schon länger, die Union hatte sich gesträubt, muß sich nun aber dem politischen Druck beugen.

Ein konkreter Termin ist dabei noch nicht abzusehen. Die Verhandlungen zur exakten Ausgestaltung des Lobbyregisters werden sich vermutlich bis in den Herbst hineinziehen. Dann muß der Bundestag darüber entscheiden. Die Vorgespräche mit der CDU seien jedoch „sehr konstruktiv“ gewesen, erklärte der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Bartke am vergangenen Freitag im Vorwärts. Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag habe den Eindruck gewonnen, „es gibt jetzt auch bei der CDU/CSU den großen Willen, das noch in diesem Jahr einvernehmlich mit uns zu verabschieden“. Ziel sei das Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2021.

Bartke gab offen zu, daß ein Lobbyregister den Fall Amthor, der nun als Anlaß für die erneute Debatte darüber herangezogen wurde, gar nicht verhindert hätte. „Das Lobbyregister soll den Einfluß von Lobbyisten auf Bundestagsabgeordnete reglementieren. Philipp Amthor ist aber ein Bundestagsabgeordneter, der selbst offen als Lobbyist für das Unternehmen ‘Augustus Intelligence’ agiert hat“, sagte er.

Aus der Wirtschaft regten sich erste positive Stimmen zu dem GroKo-Beschluß. Daimlers Politikchef, der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Eckart von Klaeden, und der frühere Grünen-Politiker Matthias Berninger, der seit 2019 den Bereich Öffenlichkeitsarbeit der Bayer AG leitet, begrüßten in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel die Entscheidung. Sie mahnten jedoch zugleich, es müßten alle Interessengruppen aufgeführt werden: „Deshalb sollte ein Lobbyregister für Deutschland nicht nur Unternehmen und Verbände, sondern nach Brüsseler Vorbild auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) oder Kanzleien, die als Interessenvertretungen tätig sind, sowie ihre Finanzierung, Ressourcen und Akteure einbeziehen“, schrieben sie am vergangenen Freitag.

Bislang führt der Bundestag lediglich eine „Öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“, die im März 1973 erstmals veröffentlicht wurde und regelmäßig aktualisiert wird. Allerdings begründet die Aufnahme in diese Liste, die auf freiwilliger Basis geschieht, keinen Anspruch auf Anhörung oder Gewährung eines Hausausweises. Derzeit listet das Dokument 2.325 Interessenverbände auf, von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände bis zum Zweirad-Industrie-Verband. Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts werden nicht eingetragen, weshalb ein Großteil der bekannten NGOs auch nicht in der Liste auftaucht.

Für den stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion Leif-Erik Holm veranschaulicht der Fall Amthor, „wie einfallsreich versucht wird, Einfluß auf die Entscheidungen von Bundestag und Bundesregierung zu nehmen“. Fast alle Mittel schienen dabei recht zu sein, kritisiert der Politiker aus Mecklenburg-Vorpommern gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Daher sei es dringend geboten, daß die Bürger wissen, welche Lobbyisten im Bundestag und in den Ministerien ein- und ausgehen. „Die Geheimniskrämerei schadet dem Ansehen der Demokratie“, ist das Mitglied des Wirtschaftsausschusses überzeugt. Notwendig sei jedoch, wirklich alle Lobbyisten zu erfassen. „Das muß dann natürlich auch für vermeintlich gemeinnützige Organisationen wie Greenpeace, die Deutsche Umwelthilfe, aber auch für Stiftungen und Vereine gelten“, betonte Holm.

Tatsächlich fällt mit Blick auf die sogenannte Hausausweisliste, die der Bundestag im vergangenen Jahr auf Anfrage des Portals „abgeordnetenwatch.de“ veröffentlichte, auf: die größte Einzelgruppe von Lobbyisten mit Hausausweis kommt nicht aus der Wirtschaft, sondern aus dem Bereich „Soziales“. Von 778 Interessenvertretern, die 2019 einen weitgehend unbegrenzten Zugang zum Bundestag hatten, arbeiteten 44 in dieser Branche, auf den Plätzen 2 und 3 folgten Verkehrs- sowie Immobilienverbände (34 bzw. 29).

Welche konkreten Änderungen sind also durch das Vorhaben der Koalition zu erwarten? Genaue Details sind noch nicht bekannt. Zunächst soll das Lobbyregister verbindlich, umfassend und sanktionsbewehrt sein. „Verstöße gegen die Registrierungspflicht werden durch die Einführung eines neuen Ordnungswidrigkeitentatbestandes zukünftig bußgeldbewehrt sein“, verkündete der Bundestagsabgeordnete Patrick Schnieder, zuständiger Berichterstatter für die CDU. Noch 2018 hatte der Unionspolitiker im Bundestag erklärt: Das Ziel, was man mit dem Lobbyregister verfolge, könne gar nicht erreicht werden. Die „bürokratische Aufblähung“ könne „die Kontaktaufnahme zu Abgeordneten letztlich nicht unterbinden“.

Einigen Initiativen hingegen geht der Beschluß der Großen Koalition nicht weit genug. Denn bislang heißt es, das Register umfasse lediglich die Lobbyarbeit gegenüber dem Bundestag und nicht gegenüber der Bundesregierung. Die GroKo dürfe keine halben Sachen machen, erklärte eine Sprecherin des Vereins Lobbycontrol. Das Lobbyregister müsse auch gegenüber der Bundesregierung gelten. Zusätzlich schlägt Lobbycontrol als Ergänzung zu einem Lobbyregister den „legislativen Fußabdruck“ vor. Dieser soll offenlegen, wer wie und in welchem Umfang an einem Gesetzestext mitgewirkt hat.

Die Branche sieht            das Vorhaben gelassen

Die meisten professionellen Lobbyisten sehen dem geplanten Register recht gelassen entgegen. „Viele Abgeordnete posten doch mittlerweile eh ganz freiwillig auf ihrer Facebook- oder Internetseite, wenn sie beispielsweise das Sommerfest oder eine andere Veranstaltung eines wichtigen Verbandes oder Konzerns besucht haben“, meint ein früherer Interessenvertreter. Gefahr wittert er weniger seitens einer kritischeren Öffentlichkeit, die den Politikern mehr auf die Finger schauen will, sondern mehr durch die Konkurrenz. „Das hängt dann sehr stark davon ab, wie detailliert die veröffentlichten Angaben sein müssen.“ Er nennt ein Beispiel: Der Vertreter eines Unternehmens trifft einen Abgeordneten, weil die Firma in dessen Wahlkreis ein Werk unterhält und dort eventuell Investitionen plant. Dann könnte, wenn der Politiker über das Gespräch Rechenschaft ablegen muß, dies einem Mitbewerber der Firma Informationen liefern, die ihm normalerweise verborgen geblieben wären.

Man sollte, so erfahrene Beobachter des Berliner Politikbetriebes, den Einfluß von Lobbyisten auf politische Entscheidungen auch nicht übertreiben. Es gebe schließlich genug Beispiele, in denen selbst finanzstarke und mächtige Branchenverbände sich nicht durchsetzen konnten. Trotz langjährigen Sponsorings bei Parteitagen konnte beispielsweise die Tabakindustrie am Ende nicht mehr verhindern, daß die Werbung für Zigaretten weiter eingeschränkt wird. Die wohl einflußreichste Lobby, die der Autobranche mit dem bestens vernetzten Verband der Automobilindustrie (VDA) hat es nicht geschafft, eine zweite Abwrackprämie für Verbrenner-Fahrzeuge im Zuge des Corona-Konjunkturpakets durchzusetzen. 

Für Kenner der Szene hat das einen schlichten Grund: „Gegen das, was gesellschaftlich gewollt oder eben nicht gewollt ist, kommt keine Lobby mehr an“, resümiert ein längere Zeit in einem Wirtschaftsverband tätiger Insider.





Was müssen Abgeordnete angeben?

Laut Abgeordnetengesetz sind berufliche Tätigkeiten neben dem Parlamentsjob grundsätzlich zulässig – wenngleich das Mandat für jeden Bundestagsabgeordneten Priorität haben sollte. Und so sind alle Nebeneinkünfte, sofern sie mehr als 1.000 Euro im Monat oder 10.000 Euro im Jahr betragen, pflichtgemäß bei der Bundestagsverwaltung anzugeben und zu veröffentlichen. Diese Transparenzregelungen sollen es dem Wähler erlauben, sich ein eigenes Bild über mögliche Interessenverstrickungen eines Abgeordneten zu machen. Einer Auswertung des Spiegels aus dem August 2019 zufolge gaben 202 der 709 Abgeordneten an, mindestens eine bezahlte Nebentätigkeit zu haben. Diese werden in zehn Stufen angegeben (Stufe 1 = 1.000 bis 3.500 Euro, Stufe 5 = bis 50.000 Euro, Stufe 10 = über 250.000 Euro). Es gibt allerdings keine Offenlegung des genauen Betrags. Zudem sind nicht nur Tätigkeiten in Unternehmen oder Körperschaften anzeigepflichtig, auch Funktionen in Vereinen, Verbänden und Stiftungen müssen angegeben werden, genau wie Beteiligungen an Kapital- oder Personengesellschaften. Bei Verstößen gegen die Veröffentlichungspflichten kann das Bundestagspräsidium eine Ermahnung aussprechen oder ein Ordnungsgeld verhängen. In der Regel ziehen Verfehlungen allerdings kaum Sanktionen nach sich, bemängelt der Verein „Lobbycontrol“. Ebenfalls wichtig: Abgeordnete dürfen außer Spenden keine Zuweisungen ohne entsprechende Gegenleistungen entgegennehmen.