© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

Berlusconis letztes Gefecht
Italien: Mitte-Rechts-Allianz will Neuwahlen / War das Ausscheiden des Ex-Regierungschefs inszeniert?
Marco Gallina

Corona hat der Politik eine neue Form der Volksversammlung beschert: die brave Demonstration. Am 4. Juli trafen sich auf der römischen Piazza del Popolo mehr als viertausend Teilnehmer. Auf den Sitzplätzen lagen Trikoloren ausgebreitet, Sicherheitsabstand trennt die Reihen. Für die italienische Rechte war Corona eine mehrfache Misere. Ihr Zugpferd, Matteo Salvini, profitiert von Volksnähe – Quarantänen und Masken sind daher Gift für den „Capitano“ gewesen, der in den Umfragen der letzten Monate empfindliche Verluste eingefahren hat. Im September finden in Italien gleich sieben Regionalwahlen statt. Zeit, daß der Wahlkampf wieder auf volle Touren geht.

Denn nicht nur der Lega-Chef hat an Popularität eingebüßt. Die 35.000 Corona-Toten, der monatelange Lockdown und der ausbleibende Tourismus sind nicht nur menschliche und wirtschaftliche Parameter. Das Gefühl der Demütigung und des Ansehensverlustes ist groß. Die mögliche Abhängigkeit vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) könnte die trudelnde Nation an eine ähnliche Brüsseler Kette legen wie Griechenland. Anders als in Deutschland haben die Italiener in der Krise kein Vertrauen zur Regierung gefaßt. Die Koalition von Ministerpräsident Giuseppe Conte erreicht in neuesten Umfragen keine 40 Prozent mehr.

„Das ist ein Komplott gewesen, kein Zweifel“

Im Verbund mit Giorgia Meloni von den rechtsnationalen Fratelli d’Italia und Antonio Tajani von der bürgerlich-konservativen Forza Italia ruft Salvini deswegen dazu auf, die regionale Superwahl im September um eine Neuwahl des Parlaments zu ergänzen. „Italien kann sich Leute wie Conte und Di Maio nicht (weiter) erlauben“, sagt Meloni. Die Menge ruft laut: „Wahlen, Wahlen!“ Da gibt es aber noch ein Thema, eines, das die italienischen Medien die letzte Woche nach Jahren wieder beschäftigt hat. „Berlusconi wurde in infamer Weise eliminiert“, erklärt Salvini bei der Kundgebung. Tajani wirkt bei diesen Worten über den eigenen Parteichef zufrieden. Denn Silvio Berlusconi, der die jüngere Geschichte Italiens maßgeblich geprägt hat, ist wieder in allen Schlagzeilen.

Sieben Jahre nach der Verurteilung des „Cavaliere“ kommt der Fall wieder ins Rollen. Berlusconi war 2013 zu vier Jahren Haft wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden. Die Vorbestrafung macht ihn für alle Ämter unwählbar, seine einstige Volkspartei Forza Italia erreicht heute nur noch sieben Prozent. Doch am Abend des 29. Juni läßt Piero Sansonetti, Chefredakteur der Tageszeitung Riformista, eine politische Bombe platzen: Das Urteil gegen Berlusconi sei nicht nur ein Fehlurteil gewesen. „Das ist ein Komplott, kein Zweifel“, erklärt Sansonetti, der jahrelang Chefredakteur bei der kommunistischen Liberazione war und sicherlich keine Sympathien für den Mailänder Medienmogul hegt.

Politische Allierte  fordern Untersuchung

Sansonetti belegt seinen Vorwurf mit einer neuen Prüfung. Das Gericht hatte argumentiert, daß Berlusconis Medienfirma Mediaset bei einem Lizenzgeschäft mit amerikanischen Filmen betrogen habe, indem sie den Preis höher angesetzt hätte, als dieser war. Die Differenz zwischen realem und fiktivem Preis habe Mediaset an der Steuer vorbeigeschafft. Doch eine neue Untersuchung komme zum Ergebnis, daß der Preis in Ordnung war. Ein zusätzlicher Beleg soll ein Audiomitschnitt sein, auf dem Amedeo Franco, einer der Richter des Kollegiums, das Berlusconi verurteilte, gegenüber dem Verurteilten später pikante Äußerungen machte. Darunter, daß der Prozeß „geführt“ worden sei, daß man den Richter Antonio Esposito „von oben“ erpreßt habe, weil dessen Sohn, der ebenfalls in der Justiz arbeitete, mit Drogen erwischt wurde. „Es gibt in Italien eine – teils geheime – Kamarilla von Beamten, die das Land dominiert. Wenn wir die nicht demontieren, dann können wir nicht länger von einem Rechtsstaat sprechen“, faßt Sansonetti zusammen.

Die berlusconifreundlichen Medien nahmen das Futter begierig auf, politische Alliierte riefen nach einer Untersuchungskommission, die Forza Italia selbst forderte ein Senatorenamt auf Lebenszeit, gewissermaßen als Ausgleich für die verpaßten politischen Jahre. Selbst Ex-Premier Matteo Renzi von der linken Regierungspartei Italia Viva fordert „Klarheit“ in der Causa. Berlusconi, der im September 84 Jahre alt wird, ist plötzlich wieder ein tagesaktuelles Thema wie in seinen rosigsten Zeiten.

Dabei könnte Berlusconis mögliche Wiederauferstehung einigen Verantwortlichen zupaß kommen – und das nicht unbedingt auf seiten der Opposition. Seit einiger Zeit steht die Forza Italia in Kontakt mit Premier Conte. Die Durchsetzung des ESM bleibt ein strittiges Thema, der Partner von der Fünf-Sterne-Bewegung blockiert die Sozialdemokraten. Der EU-freundliche Berlusconi bietet Conte bereits an, eine neue Regierung zu stützen, wenn er sich endlich der Sterne entledigt. Das Gemauschel zwischen aktuellem und einstigem Premier bleibt auch Salvini und Meloni nicht verborgen. Es hat wohl seine Gründe, daß nicht Berlusconi, sondern Tajani mit ihnen auf dem Platz steht. Der war, als direkter Nachfolger von Martin Schulz (SPD), von 2017 bis 2019 EU-Parlamentspräsident.





Italienisches Parteiensystem

Das Ende der Sowjetunion hatte auch Folgen in Italien: 1991 spalteten sich die Kommunisten (PCI), danach implodierten im Zuge der Korruptionsprozesse (Mani pulite) auch Christdemokraten (DC) und Sozialisten (PSI), deren Hauptaufgabe – eine PCI-Machtübernahme zu verhindern – obsolet war. In das Machtvakuum stieß der Mailänder Medienmilliardär Silvio Berlusconi, der mit seiner Partei Forza Italia die Parlamentswahl von 1994 gewann. Wegen des Mehrheitswahlrechts trat Berlusconi gemeinsam mit den Postfaschisten (AN), der Lega Nord und rechten Christdemokraten an. Dieses Bündnis wechselte sich mit diversen Linksallianzen (Postkommunisten, Liberale, Linkskatholiken) bei der Regierung ab. Im neuen Verhältniswahlrecht wurde 2018 die populistische Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) mit 32,7 Prozent stärkste Partei. Die Lega verließ das Berlusconi-Bündnis und regierte bis September 2019 mit. Der parteilose Premier Giuseppe Conte blieb aber im Amt und bildete eine Regierung aus M5S und vier Linksparteien. (fis)