© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

Auf des Messers Schneide
Corona-Krise: Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und die OECD warnen vor Überschuldung
Dirk Meyer

Zwei internationale Organisationen haben kürzlich die künftige Wirtschaftsentwicklung eingeschätzt: Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel veröffentlichte ihren Jahresbericht, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihren jährlichen Wirtschaftsausblick. Und die anhaltende Corona-Pandemie und der davon ausgelöste Einbruch der Weltwirtschaft waren selbstverständlich eines der Hauptthemen des diesjährigen BIZ-Berichts („BIS Annual Report 2019/20“).

Die negativen Marktentwicklungen spiegeln sich sogar bereits in den eigenen Bilanzzahlen zum Jahresabschluß (31. März 2020) wider. So sank der BIZ-Nettogewinn gegenüber dem Vorjahr von 563 auf 202 Milliarden Euro. Ursache waren ein geminderter Zinsüberschuß sowie niedrigere Anleihekurse. Die im Wert gestiegenen Goldbestände konnten diese Mindererträge nicht ausgleichen. Großes (Eigen-)Lob gab es seitens der BIZ für die Zentralbanken weltweit. Sie hätten mit ihren kurzfristig ergriffenen Maßnahmen dem Wirtschaftsabschwung entgegengewirkt.

Unerwähnt blieb die Nähe mancher Aktion zum staatlichen „Gelddrucken“ (monetäre Staatsfinanzierung) und zu ungewöhnlichen Markteingriffen. Beispiele bietet die EZB mit ihren Staatsanleiheankäufen. Bei einem Umfang von 2.715 Milliarden Euro machten sie Ende Juni etwa die Hälfte der Bilanzsumme des Eurosystems aus. Zehn Prozent der japanischen Aktien befinden sich bei der japanischen Notenbank (BoJ), was neben der Geldschöpfung auch eine fragwürdige Stützung des Aktienmarktes darstellt. Die Forderung, die Zentralbanken müßten sich geldpolitischen Spielraum für die Zukunft verschaffen, klingt angesichts der hohen Verschuldung von Staaten und Unternehmen zu Niedrigzinsen wie reines Wunschdenken. Ein nur geringfügiger Zinsanstieg würde die Zinskosten explodieren lassen.

Zugleich warnt die BIZ vor Übermut an den Finanzmärkten. Eine zunehmende Risikoneigung könnte angesichts fehlender Informationen, welches Ausmaß diese Krise hat und wie es weitergehen wird, sehr schnell zu Enttäuschungen und Kurseinbrüchen führen. So erwartet sie steigende Unternehmensinsolvenzen, die die Kreditrückzahlung und damit den Geschäftsbankensektor trifft. Zudem sieht die BIZ die krisenbedingte, enorm ansteigende Staatsverschuldung als Problem – schließlich wiesen einige Länder schon vor der Corona-Krise ein sehr hohes Schuldenniveau auf.

Die EU-Kommission erwartet für dieses Jahr eine Staatsschuldenquote in Griechenland von 196 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In Italien könnten es 159, in Frankreich 117 und in Spanien 116 Prozent sein. Für Deutschland wird ein Anstieg der Staatsverschuldung von 59,8 auf 75,6 Prozent prognostiziert. Einerseits seien staatliche Konjunkturprogramme notwendig, andererseits gefährdeten sie die Schuldentragfähigkeit der Staaten – es droht eine Verschuldung auf des Messers Schneide.

Digitales Zentralbankgeld revolutioniert Geldordnung

Die 1960 in Paris gegründete OECD umfaßt heute 37, vor allem europäische und amerikanische Mitgliedstaaten mit zumeist hohem Pro-Kopf-Einkommen. Ihre Analysen und Empfehlungen orientieren sich an einer liberal-marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Der Abbau von Regulierungen, Wettbewerb und Nichtdiskriminierung stehen für die Arbeits- wie für die Produktmärkte, aber auch für den Bereich Umwelt. Während die BIZ von der Politik Strukturreformen und ein ökologisch nachhaltiges Wachstum in Gestalt der Neuausrichtung des Energiesektors fordert, setzt die OECD auf „ebene Spielfelder“ und gleiche Bedingungen für alle.

Ein Staat könne „nicht die Gewinner von morgen auswählen“, deshalb müsse der Staat bei jeglicher Förderung die Technikneutralität beachten. Das CDU-geführte Bundeswirtschafts- und das SPD-geführte Bundesumweltministerium könnten hier alternative Anleitungen finden – abseits von nationaler „CO2-Bepreisung“ oder Subventionen für Elektroautos. Zudem würden die Staaten gerade jetzt schwachen Unternehmen helfen und dabei die Krisenchancen zur „schöpferischen Zerstörung“ (Joseph Schumpeter) und zum Aufbau innovativer Entwicklungen außer acht lassen. Hierbei sieht die OECD auch die coronabedingt ausgeweiteten Kurzarbeiterregelungen in den meisten EU-Staaten kritisch: Dadurch könnten Beschäftigte zu lange in nicht mehr wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen gebunden werden. Stattdessen werden vermehrt Umschulungshilfen für Kurzarbeiter und Restrukturierungshilfen für Unternehmen gefordert.

Zu den fortschrittlichen Themen zählt der digitale Wandel, den die BIZ durch die Errichtung eines Digitalzentrums bei der Bundesbank (Frankfurt) und der Banque de France (Paris) Rechnung trägt. Die Zentralbanken betrifft dieses Thema in zweierlei Hinsicht. Aufgabe sei es, sichere und verläßliche Zahlungsinstrumente für Transaktionen in der digitalen Wirtschaft zu schaffen. Hier dürfte die sogenannte Blockchain-Technologie (JF 25/19) eine wesentliche Rolle spielen, durch die der Zahlvorgang mit anderen Vorgängen wie Übereignung, Lagerhaltung oder Besteuerung verknüpft werden kann.

Zudem wird das Geldmonopol der Zentralbanken zunehmend durch privates Digitalgeld wie den Bitcoin oder die Facebook-Währung Libra (JF 41/19) in Frage gestellt. Sowohl die Schwedische Reichsbank wie auch die Bank of England sind hier schon weit in Richtung einer digitalen Landeswährung fortgeschritten. Digitales Zentralbankgeld wäre Vollgeld und würde unsere derzeitige Geldordnung wie auch die Funktion des Bankensektors als Kreditgeldgeber revolutionieren.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Sein neues Buch „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise“ (Springer Verlag 2019) zeigt Analysen und Konzepte für einen Neuanfang auf.





BIZ – die „Bank der Zentralbanken“

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) wurde 1930 in Basel gegründet. Gab es anfangs nur 24 Mitglieder, darunter die deutsche Reichsbank, vereint die BIZ heute 62 Zentralbanken: Von Argentinien über die Türkei und Indien bis hin zu China und Japan. Auch die EZB und US-Fed sind vertreten. Die auch „Bank der Zentralbanken“ genannte BIZ verwaltet die Devisenreserven für die Notenbanken und gilt als geldpolitische Denkfabrik. In drei zentralen Ausschüssen nimmt sie eine Schlüsselrolle bei der Kooperation der Zentralbanken und anderer Institutionen aus dem Finanzsektor ein. Der Ausschuß für das weltweite Finanzsystem wacht über die Stabilität der Geschäftsbanken. Im Baseler Ausschuß für Bankenaufsicht werden Regulierungsanforderungen, die Schieflagen von Banken verhindern sollen, laufend geprüft und neu justiert. Im Ausschuß für Zahlungsverkehr und Marktinfrastrukturen werden neue Trends bei Bezahl- und Überweisungsvorgängen thematisiert. (mey)

 bis.org

 oecd.org