© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

Das Zerschlagen der Geschichte
Gutachten plädiert dafür, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufzulösen
Peter Möller

Sie ist die letzte große öffentliche Institution, die mit ihrem Namen noch an das 1947 untergegangene Preußen erinnert: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). Als eine Art Nachlaßverwalter kümmert sich die 1957 gegründete Stiftung um das, was vom kulturellen Erbe des ehemaligen Hohenzollernstaates übriggeblieben ist.

Ob die einmaligen Sammlungen auf der Berliner Museumsinsel mit dem wiederaufgebauten Berliner Stadtschloß, Bibliotheken, Archive oder Forschungsinstitute: Die Preußenstiftung ist mit rund 2.000 Mitarbeitern und einem Etat von 336 Millionen Euro die größte Kulturinstitution ihrer Art in Deutschland. Im vergangenen Jahr besuchten fast 4,2 Millionen Menschen die Museen, deren 15 Sammlungen mit 4,7 Millionen Objekten an 19 Standorten präsentiert werden. Allein knapp 3,1 Millionen Besucher kamen dabei in die Häuser der Berliner Museumsinsel wie etwa die Alte Nationalgalerie das Neuen Museum oder das Bodemuseum.

Föderale Struktur soll aufgelöst werden

Doch jetzt droht der stolzen Stiftung die Zerschlagung: Das legt zumindest das Ergebnis eines 278 Seiten starken Gutachtens nahe, das Anfang dieser Woche in Berlin der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Die Kernthese der Prüfer: die SPK sei „dysfunktional“. Die Vielzahl der Institutionen führte zu einer „strukturellen Überforderung“ der Stiftung, heißt es in dem Papier, das Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) 2018 beim Wissenschaftsrat, der Bund und Länder in Fragen inhaltlicher und struktureller Entwicklung von Wissenschaft, Forschung und Hochschulen berät, in Auftrag gegeben hatte. 

Einige Einrichtungen der Stiftung drohten nach Ansicht der Gutachter „teilweise den Anschluß an aktuelle Entwicklungen und Debatten zu verlieren, auch und insbesondere in internationaler Perspektive“. Mit anderen Worten: Die Experten halten die SPK für zu groß, zu bürokratisch und damit zu schwerfällig. Ihr Rat: Weniger ist mehr. Statt einer übergeordneten Institution wollen sie die SPK in vier weitgehend eigenständige Organisationen aufteilen, die über eine unabhängige Leitung mit Personal- und Budgetverwaltung verfügen sollen. Die Experten erhoffen sich dadurch mehr Effizienz und Eigenständigkeit bei Schwerpunkten wie Forschung und Bildung. Die Hauptverwaltung der Stiftung mit SPK-Präsident Hermann Parzinger würde so überflüssig.

Zudem soll die föderale Struktur der Stiftung, die bislang finanziell vom Bund (75 Prozent) und den Ländern (25 Prozent) getragen wird, weitgehend aufgelöst werden. Der Bund soll den Vorschlägen zufolge künftig unter anderem die Berliner Staatsbibliothek und das Geheime Staatsarchiv tragen. Die Staatlichen Museen sollen der Bund und Berlin gemeinsam finanzieren. Die Gesamtzuständigkeit läge weiterhin beim Staat. Gleichzeitig fordert der Wissenschaftsrat die dann nicht mehr an der Finanzierung beteiligten übrigen Bundesländer „mit allem Nachdruck auf, die freiwerdenden Mittel für andere gesamtstaatliche Aufgaben im Kulturbereich zu verwenden“. Hintergrund für das Gutachten ist eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD, die vorsieht, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz „strukturell an die Anforderungen eines modernen Kulturbetriebs mit internationaler Ausstrahlung“ anzupassen.

Grütters sprach nach der Veröffentlichung des Gutachtens vom „Beginn eines substantiellen Reformprozesses für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, bei dem die Strukturempfehlungen Ziel und Richtung vorgeben – hin zu einer größeren Autonomie der einzelnen Einrichtungen.“ Doch schon vor der Veröffentlichung des Gutachtens waren Teile davon in den Medien aufgetaucht und hatten in der Kulturszene und insbesondere unter den Mitarbeitern der Stiftung für erhebliche Unruhe gesorgt.

SPK-Präsident Parzinger machte bislang gute Miene zu dem aus seiner Sicht durchaus bösen Spiel. „Die Stiftung ist als Nachkriegsgründung mit ihren 60 Jahren relativ jung, wenn man sie mit ihren Einrichtungen vergleicht“, sagte er vor der Veröffentlichung des Gutachtens der Berliner Zeitung. „Das Geheime Staatsarchiv ist über 400 Jahre alt, die Staatsbibliothek über 350 Jahre, die Museen fast 200.“ Dieser einzigartige Verbund von Sammlungen, ein „riesiger Kosmos der Kunst und Kultur“, besitze enormes Potential. „Die SPK hat eigentlich zu jeder Frage der Welt eine Quelle. Das müssen wir zeigen.“

Keine Rede von Erinnerung an Preußen

Doch ob er dazu noch lange Gelegenheit haben wird, ist zweifelhaft. Beim Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, läuten jedenfalls bereits die Alarmglocken. Er sprach von einem Gau für die SPK. „Wir werden als Kulturrat zu dem Prozeß natürlich Stellung beziehen, nachdem wir den umfangreichen Bericht sorgfältig gelesen haben“, sagte er der Berliner Zeitung. „Das wird der größte Umbau werden, den wir im Bereich der deutschen Kulturpolitik erlebt haben. Das gilt insbesondere mit Blick auf das Verhältnis der neuen Einrichtung zu den Ländern, von denen ja gewissermaßen 15 von 16 offensichtlich vor die Tür gesetzt werden sollen.“

Widerspruch kommt bislang unter anderem aus dem Auswärtigen Amt. Die für die Kulturpolitik zuständige Staatsministerin Michelle Müntefering (SPD) sagte dem Spiegel, Reformen seien zwar notwendig, eine Zerschlagung aber der falsche Weg: „Warum sollte man einfach die Weltmarke SPK zerstören?“ Eine massive Neuorganisation der Stiftung, wie sie gerade diskutiert werde, wäre für Jahre eine Hauptaufgabe, die viele Energien binde. Sie würde notwendige Entwicklungen wie etwa die Digitalisierung der Archivbestände behindern und so die Institutionen eher weiter zurückwerfen.

Kritiker befürchten, daß durch eine Aufteilung der Stiftung die Kulturinstitutionen insgesamt an Gewicht und damit an Durchsetzungskraft verlieren und so noch anfälliger für die Einflußnahme der Politik werden. Das würde auch Deutschlands Ansehen und Stellung als Kulturnation in der Welt schwächen. Davon, daß mit der Zerschlagung der Preußenstiftung auch die Erinnerung an das kulturelle Vermächtnis Preußens noch weiter verblassen würde, ist dagegen bislang kaum die Rede.