© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

Halifax und Churchill blieben unerbittlich
Im Juli 1940 wies die britische Regierung ein Friedensangebot aus Berlin zurück
Stefan Scheil

Philip Lothian ruft abends aufgeregt aus Washington an und bittet Halifax, heute abend nichts zu sagen, was die Tür zu einem Frieden zuwerfen würde. Er sagt, er kenne die deutschen Friedensbedingungen, und sie wären höchst zufriedenstellend. Glücklicherweise kümmert sich Halifax nicht darum.“ In diesem knappen Tagebucheintrag des britischen Diplomaten Harold Nicolson vom 22. Juli 1940 wird das Tauziehen erkennbar, das im Sommer 1940 hinter den europäischen Kulissen stattfand. 

Seit dem letzten Herbst hatte Deutschland wiederholt Frieden angeboten, und die Westmächte hatten ihn stets abgelehnt. Nun war Frankreich gerade vollständig besiegt worden und unter dem Eindruck dieses Erfolgs versuchte die deutsche Seite einmal mehr, mit vernünftigen Bedingungen in London Zustimmung für einen Kompromiß zu finden. Mit mehr Erfolg als jemals sonst während des Zweiten Weltkriegs.

Denn es war kein politisches Leichtgewicht, das da aus Washington angerufen hatte und die deutschen Vorstellungen akzeptabel fand. Philip Kerr, auch bekannt als Lord Lothian, amtierte dort als britischer Botschafter auf dem wichtigsten Posten, den das Außenministerium zu vergeben hatte. Das Vertrauen für diese Ernennung hatte er sich als früherer Privatsekretär des Premiers, gefragter Buchautor, Journalist und Mitglied dessen erworben, was man in modernen Worten „politische Denkfabriken“ nennen würde. 

Als Agent im Vorfeld britischen Regierungshandelns war er weltweit unterwegs gewesen. Im Vorfeld des ersten Weltkriegs lotete er beispielsweise 1911/12 etwa fast ein Jahr auf einer Informationstour durch Deutschland wie durch Asien politische Hintergründe aus. Der dann 1916 mitten in Kriegszeiten erfolgte Schritt zum „Privatsekretär“ des Premiers brachte phasenweise eine Art persönliche Regierungsübernahme Lothians mit sich, die teilweise scharf kritisiert, aber eben auch akzeptiert wurde. Es war schließlich Lothian persönlich, der 1919 in Versailles die gemeinsame Erklärung der alliierten Siegermächte verfaßte, mit der sämtliche deutschen Einsprüche gegen das Diktat des Friedensvertrags zurückgewiesen wurden. Niemand wollte daran ein Komma ändern, auch der US-amerikanische Präsident nicht.

Aus dem Hardliner Lothian wurde aber mit der Zeit ein Kritiker der britischen Politik gegenüber Deutschland und der Versailler Regelungen. Anders als manche andere in London befürwortete er den Anschluß Österreichs und schätzte 1938 auch die Regelungen des Münchener Abkommens als gute Lösung ein. Wenn auch die Art und Weise schwer vermittelbar sei, wie die Tschechoslowakei so kurzfristig unter die Räder gekommen sei, so sei die Forderung nach Eingliederung der Sudetendeutschen in Deutschland legitim gewesen. Es seien die Tschechen unter Präsident Edvard Beneš, die eine Politik verfolgt hätten, die andernfalls unvermeidlich zum Weltkrieg hätte führen müssen. Lothian gehörte auch zu den wenigen, die sich selbst vor Ort ein Bild von der Lage in NS-Deutschland machten. Daher kannte er Hitler persönlich. Man war in der Vorkriegszeit mehrfach zu längeren Gesprächen zusammengekommen, in denen Deutschlands Diktator eine Skizze seiner Politik versucht hatte.

Die Falken hatten sich in London durchgesetzt

In London hatten sich in der zweiten Hälfte des Juli 1940 allerdings bereits diejenigen durchgesetzt, die von Kompromissen nichts wissen und den Krieg um jeden Preis fortsetzen wollten. Der Preis würde hoch sein, daran bestand kein Zweifel. „Wir sollen herausfinden, was die Deutschen wollen, bevor wir die Welt zu einer weiteren Million Opfer verurteilen.“ Dies vermerkte Außenminister Halifax zum Telefonat mit Lothian. Dessen ebenso christlich wie machtpolitisch motivierter Appell an die Folgen einer Weiterführung des Krieges verfing bei Halifax allerdings nicht. 

Dieser hielt am gleichen Tag, dem 22. Juli 1940, eine ebenso knochentrockene wie inhaltlich unzweideutige Rede. England würde den Krieg ohne Verhandlungen fortführen. Intern begeisterte sich Premier Churchill regelrecht für seine neue Strategie, mit allen Mitteln „Europa in Brand zu setzen“. Dazu gehörte die Entfesselung des strategischen Bombenkrieges ebenso wie das Schaffen neuer Kriegsschauplätze und die Förderung irregulärer Verbände zu Terrorzwecken gegen die deutsche Besatzung. 

Der genaue Wortlaut des deutschen Angebots, das vom deutschen Geschäftsträger Thomsen über einen Quäkerfunktionär namens Lowell zu Lothian übermittelt wurde, ist nicht bekannt. Bekannt ist, daß das deutsche Auswärtige Amt Vorschläge ausgearbeitet hatte, die der Diktator mit dem wütenden Kommentar beantwortete, man habe den Krieg schließlich „gewonnen und nicht verloren“. Da Lothian auf den letztlich übermittelten Inhalt so ungemein erfreut reagiert hat, gibt es wenig Anlaß, daran zu zweifeln, daß der Text im wesentlichen dieser Linie gefolgt ist. Also einen umfassenden Rückzug der deutschen Streitkräfte aus Westeuropa und den weitgehenden Verzicht auf Annexionen in Frankreich beinhaltet hat. Damit verkörperte er eine realistische Perspektive, wie der Krieg mit einem innereuropäischen Friedensschluß bei Wahrung britischer Interessen zu beenden war. Es setzten sich in London aber diejenigen durch, die ein einziges Interesse hatten: den Sieg.