© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

Einspruch gegen ein Zerrbild Martin Niemöllers
Kein unbelehrbarer Antisemit
(dg)

Benjamin Ziemanns 2019 veröffentlichte Biographie Martin Niemöllers (1892–1984) präsentiert in modischer Enthüllungsmanier diesen Kirchenpolitiker als völkischen Nationalisten, Anti-Bolschewisten und Antisemiten, den man wegen seiner widerständigen Rolle in der Bekennenden Kirche nach 1945 allzu unkritisch zum Kronzeugen für die progressive politische Identität der Protestanten stilisiert habe (JF 43/19). Im Mai-Heft von zeitzeichen, dem linksprotestantischen Zentralorgan, hat Ziemann nun seinen 500seitigen Denkmalsturz in Kurzfassung publiziert. Und ist überraschenderweise auf heftigen Widerspruch eines anderen Niemöller-Biographen, des Theologen Michael Heymel gestoßen (zeitzeichen, 6/2020). Ziemann greife nach Niemöller, aber er begreife ihn nicht, weil er die Historikerpflicht verletze, die Vergangenheit nicht nach den Maßstäben der Gegenwart zu beurteilen. Zumal er damit nur alte moralische Verdikte wiederhole und Zerrbilder eines U-Boot-Kommandanten des Ersten Weltkriegs zeichne, den der Militarismus des Kaiserreichs prägte und der wie die meisten Pfarrer damals deutschnational und judenfeindlich dachte. Nach 1945 habe er sich aber endgültig von antijüdischen Ressentiments gelöst und diverse Freundschaften mit Juden geschlossen, was Ziemann ignoriere, um ihn als „unbelehrbaren Antisemiten“ darstellen zu können. 


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