© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

Ein Pompeji in Flandern
Sensationsfunde bei Ypern aus dem Ersten Weltkrieg
Zita Tipold

Die im Oktober 1914 beginnende Erste Flandernschlacht markierte den Beginn der Grabenkämpfe für Deutsche und Briten im Ersten Weltkrieg. Hunderttausende Soldaten starben für geringe Geländegewinne, die oft beim nächsten Gegenangriff verlorengingen. Bei der Schlacht am Wytschaetebogen 1917 beschossen die Briten 17 Tage lang deutsche Stellungen. Dabei verloren insgesamt 60.000 Soldaten ihr Leben. Eine der deutschen Befestigungen befand sich auch nahe der flämischen Ortschaft Wijtschate im Süden Belgiens. Aufgrund ihrer leichten Erhebung über dem Meeresspiegel wird sie Höhe 80 genannt. Dort gruben Historiker und Freiwillige 2018 sterbliche Überreste und Ausrüstung der Kriegsteilnehmer aus. Aufgrund der Masse an Fundstücken bezeichnete der Archäologe Simon Verdegem die Ausgrabungsstelle damals als „Pompeji des Ersten Weltkriegs“. 

Nun sind Bauarbeiter bei Kanalarbeiten in Wijtschate auf einen deutschen Bunker gestoßen, der Platz für etwa 300 Soldaten bot. Dort konnten deutsche Soldaten während der Bombardierung des Dorfes Schutz suchen. Der „Kortestollen“ gehörte zu einem weitverzweigten Festungssystem, das deutsche Truppen nahe der Stadt Ypern errichtet hatten. Vermutlich stürzte es noch während des Krieges ein und begrub die Soldaten lebendig. Der deutsche Militärhistoriker Robin Schäfer betonte, es handle sich um eine der größten Untergrund-Strukturen, die je in Flandern gefunden wurden. Die Entdeckung sei womöglich eine echte Zeitkapsel.

Archäologen versuchen nun, die Stollenanlage, die etwa sechs Meter unter der Erde liegt, bis zum 17. Juli freizulegen. Verdegem, der die Ausgrabungen im Auftrag des Instituts für flämisches Kulturerbe leitet, hofft darauf, daß dies umfänglich möglich sein wird, denn das verzweigte Festungssystem liegt unter einer Straße, die durch das Öffnen der Anlage nicht beschädigt werden darf. Schon jetzt wurden mehrere Objekte, darunter eine vollständig intakte Trage, ein hölzernes Wagenrad und Helme deutscher Soldaten gefunden.

Zudem entdeckten die Archäologen Spuren von Unterständen und einer Schmalspur-Eisenbahn. Stießen die Wissenschaftler bei den Ausgrabungen auf sterbliche Überreste, könnten diese Angehörigen übergeben und womöglich sogar einige Vermißtenfälle aufgeklärt werden. Relikte aus dem Ersten Weltkrieg hingegen gehören in Flandern zum denkmalgeschützten Kulturerbe. Die ausgegrabenen Objekte sollen einen Platz in künftigen Ausstellungen finden.