© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/20 / 17. Juli 2020

Da biste platt!
Die niederdeutsche Sprache war fast ausgestorben, doch Belebungsversuche tragen zarte Früchte
Bernd Rademacher

Watt hätt he sächt? Ist Plattdeutsch eine tote Sprache? Aktive Sprecher dieses rustikalen Dialekts gibt es kaum noch. Die Weitergabe innerhalb der Familien ist häufig in den siebziger und achtziger Jahren abgerissen. Weit weniger als ein Prozent der Jugendlichen wächst noch zweisprachig mit Platt- und Hochdeutsch auf.

Bis weit nach dem Krieg war Niederdeutsch, die Sprache der alten Sachsen, in den ländlichen Regionen der norddeutschen Ebenen die gebräuchliche Verkehrssprache des täglichen Lebens und Handels. Der „Trecker“ (Traktor) ist ein Relikt des alltäglichen Plattdütsk, denn trecken heißt auf hochdeutsch „ziehen“. Der Dialekt ist in zahlreiche regionale Varianten fraktioniert: Man unterscheidet unter anderem ostfriesisches Platt, Oldenburger, Sauerländer dithmarscher und Münsterländer Platt sowie ostwestfälisches und rheinisches Platt. Die Unterschiede sind teils nur marginal. In Westfalen „küert“ man Platt, im Norden „snackt“ oder „praat“ man es.

1984 ergab eine Erhebung zum Stand der Sprecher immerhin noch acht Millionen, die zu Hause Platt redeten. Seitdem ist diese Zahl dramatisch erodiert, die meisten Erwachsenen zwischen Münster und Flensburg, zwischen Schwerin und Gronau, sprechen es nur „ein bißchen“ oder können „etwas verstehen“.

Doch seit 2010 gibt es Wiederbelebungsversuche, die nicht ohne Erfolge blieben. In Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern wurde Platt in das Wahlpflichtangebot des Schulunterrichtes aufgenommen. Das Bildungsministerium in Mecklenburg-Vorpommern gibt zudem unter der Überschrift „Läs un späl Platt“ Begleitmaterial zum Kinderbuch „Kaspar un de Klabauterkatt“ heraus. Auch in Niedersachsen gibt es entsprechende Kurse. An den Universitäten in Greifswald, Kiel, Oldenburg, Flensburg, Rostock und Hamburg kann man Platt sogar studieren, überwiegend als Forschungsprojekt innerhalb des Germanistikstudiums, teilweise aber auch sogar auf Lehramt.

Das größte Problem dabei ist, daß Platt keine Schriftsprache ist. Es existieren keine verbindlichen Rechtschreibregeln und nur sehr wenig Lehrmaterialien. Allenfalls die niedergeschriebenen Verse des Münsterländer Heimatdichters Augustin Wibbelt (1862–1947) helfen hier weiter, zum Beispiel sein Gedicht vom „Pöggsken met de gröne Büx“, dem „Fröschlein mit der grünen Hose“, das vor dem Ganter ausreißt.

Linkspartei: Plattdeutsch benachteilige Ausländer

Doch auch abseits vom Schul- und Hochschulbetrieb ist eine quirlige Szene von Plattdeutsch-Fans aktiv: In Bremen pflegen junge Leute das private Institut für Niederdeutsche Sprache; und die Bremer HipHop-Combo „De fofftich Penns“ rappt auf platt. Die älteste plattdeutsche Radiosendung, „Plappermoehl“ bei NDR 1 Radio MV, gibt es seit 1983. Auf Youtube findet man Tutorials wie „Plattdeutsch für Anfänger“ oder „wi küert plat“, und in zahlreichen Städten des Nordens existieren niederdeutsche Bühnen, die nicht nur traditionelle Volksstücke auf platt aufführen. Bei der plattdütsken Version des Silvester-Sketches „Dinner for One“ der Fritz-Reuter-Bühne Schwerin wird aus „same procedure as last year?“ ganz einfach „op de glige Ort äs vörigs Joahr?“

Auch die 11jährige Carlotta aus Oldenburg findet Platt super, weil sie es mit ihrer Oma sprechen kann und die Eltern nix „verstoahn“. Die Fünftkläßlerin des Liebfrauen-Gymnasiums qualifizierte sich vergangenes Jahr beim plattdeutschen Lesewettbewerb für das Finale in Hannover und durfte dort das Oldenburger Platt vertreten. Von den 30 Teilnehmern in fünf Altersklassen von acht bis 18 schafften es fünf auf das Siegerpodest und wurden durch das niedersächsische Kulturministerium ausgezeichnet, das den Wettbewerb in jedem Jahr durchführt – 2020 entfällt wegen Corona.

Nicht allen gefällt das jedoch: Die Linkspartei im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern lehnten Niederdeutsch als Schulfach ab, weil das Plattdeutschlernen zu Lasten des Hochdeutschunterrichts gehe und Ausländer daher angeblich benachteiligt seien – watt een dumm tüchs!