© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/20 / 31. Juli 2020

Kleiner wird’s nicht
Wahlrecht: Soll der nächste Bundestag nicht weiter aufgebläht werden, muß sich die Große Koalition in der Sommerpause auf eine gemeinsame Linie einigen
Paul Rosen

Der Kampf der Parteien um ein neues Wahlrecht wird heftiger. Bei der beabsichtigten Verkleinerung des Bundestages (derzeit 709 Abgeordnete) versuchen alle Betroffenen, die für sie jeweils günstigste Lösung durchzusetzen. Vor allem die Parteien der Großen Koalition sind bemüht, sich noch bis zum Herbst zusammenzuraufen, auch wenn der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, die Hoffnungen dämpfte.  

Er kritisierte das Durcheinander bei der Union, wo der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus zunächst mit einem unabgestimmten Vorschlag vorgeprescht war. Das Wahlrecht, so Schneider, sei zentrales Element der Demokratie. „Veränderungen daran können nicht auf Grundlage von Zurufen einzelner Politiker vorgenommen werden.“ Im Bundestag forderte Schneider den Koalitionspartner auf, einen ausformulierten Vorschlag vorzulegen.

Genau das hat die Union bisher nicht getan, sondern nur mündlich von Spitzenpolitikern Eckpunkte vortragen lassen. Nach Angaben von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sieht der Unionsvorschlag eine Reduzierung der Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 vor. Sieben Überhangmandate sollen nicht mehr ausgeglichen werden, was besonders CDU und CSU zugute kommen würde. Traditionell gewinnen sie mehr Wahlkreise als die Konkurrenz, so daß sie eigentlich mehr Mandate hätten, als ihnen im Bundestag nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen würden. 

Verwaltung rechnet       wohl nicht mit Einigung

Bisher wurden diese Überhangmandate durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien aufgewogen. Fallen diese wenigstens zum Teil weg, wird der Anteil der Schwarzen im Bundestag größer. Dobrindt sieht im Unionsvorschlag „eine grundlegende Reform des Wahlrechts und eine Begrenzung des Bundestages“, die schon 2021 vorgenommen werden könnte, also bereits zur nächsten regulären Bundestagswahl, die im September kommenden Jahres stattfinden dürfte.

Zur Untermauerung ihrer Argumentation hat sich die Union ein Gutachten vom Heidelberger Staats- und Verfassungsrechtler Bernd Grzeszick schreiben lassen. Der Juraprofessor kommt zum Ergebnis, daß selbst bereits vorgenommene Kandidatennominierungen kein Hindernis für den Wegfall oder einen anderen Zuschnitt von Wahlkreisen sein würden. Gegebenenfalls müsse der Kandidat neu bestimmt werden. Es sei klar, daß der derzeitige Wahlkreiszuschnitt angesichts der Debatte über die Bundestagsverkleinerung „erkennbar vorläufig“ sei. Auch Bundeswahlleiter Georg Thiel sieht kein Problem in einem kurzfristigen Neuzuschnitt der Wahlkreise. Für Dobrindt ist klar, daß das Gesetzgebungsverfahren bereits in der ersten Septemberwoche abgeschlossen werden kann.

Allerdings müßten sich dafür Union und SPD während der parlamentarischen Sommerpause noch ein ganzes Stück näherkommen. Die im Schwinden begriffene SPD gewinnt kaum noch Direktwahlkreise und setzt hier den Hebel zur Verkleinerung an. Zwar soll es weiterhin 299 Wahlkreise geben, aber Wahlkreisgewinner mit knappem Vorsprung sollen gegebenenfalls kein Mandat erhalten. Auch wenn nur schwer verständlich gemacht werden dürfte, warum ein Gewinner tatsächlich ein Verlierer ist, sieht sich die SPD juristisch auf der sicheren Seite: Tatsächlich hält es der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages für „verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig, einem Wahlkreisbewerber, der mit relativer Mehrheit gewählt worden ist, das Mandat nicht zuzuteilen“. So könnte etwa eine Mindeststimmenzahl von 30 Prozent für den Gewinn eines Wahlkreises festgelegt werden. Hätte es diese Regel bei der Wahl 2017 bereits gegeben, wären 26 Direktmandate nicht zugeteilt worden.

Einig war sich die Koalition bisher nur in der Zurückweisung der Vorstellungen anderer Fraktionen. FDP, Linke und Grüne hatten in seltener Eintracht einen gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht, der die Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 250 vorsieht. Der Vorschlag kommt diesen Parteien zugute, da sie bisher nur wenige oder keine Direktmandate erzielt haben. Im Bundestag scheiterte kurz vor der Sommerpause allerdings der Versuch der drei Fraktionen, eine Abstimmung über ihren Gesetzentwurf herbeizuführen. Auch der AfD schwebt vor, nur so vielen direkt gewählten Kandidaten in einem Bundesland ein Mandat zuzuteilen, wie dies dem Zweitstimmenanteil der Partei entspricht. Nicht in den Bundestag einziehen sollen demnach die überzähligen Direktwahlkreisgewinner mit dem schlechtesten Ergebnis.

In der Bundestagsverwaltung wird ein Scheitern der Verkleinerungspläne trotzdem nicht ausgeschlossen. Hier plant man bereits, Bürocontainer neben dem Marie-Elisabeth-Lüders aufzustellen. Kalkuliert wird mit 150 zusätzlichen Abgeordneten – und damit dem größten Bundestag aller Zeiten.