© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/20 / 31. Juli 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Still ruht die Spree
Paul Rosen

Es wird ein einsamer Sommer in der Hauptstadt. Selbst Touristen lassen sich in Berlin-Mitte kaum blicken. Die Corona-Pandemie bestimmt weiterhin das Leben. Wer in der Tristesse des ausgestorben wirkenden Regierungs- und Parlamentsviertels überhaupt noch am Schreibtisch sitzt und nicht in Heimarbeit oder im Urlaub ist, blickt täglich auf einen leeren Terminkalender. 

Vor allem die beliebten Abendveranstaltungen wie die Sommerfeste in den Landesvertretungen von Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen oder Schleswig-Holstein, wo sich früher Tausende zum Meinungsaustausch trafen und kulinarische Genüsse natürlich nicht zu kurz kamen, sind komplett abgesagt. 

Die „Stallwächter“, also die reduzierten Bürobesatzungen, die im politischen Sommerloch ausharren müssen, kommen nicht einmal in den Genuß der für sie eigens abgehaltenen „Stallwächterparty“ in der baden-württembergischen Vertretung. Auch die Sommertreffs der Fraktionen – oft in den Innenhöfen der Bundestagsgebäude abgehalten – finden nicht statt. Die Lobbyisten und ihre Verbände haben alle großen Zusammenkünfte abgesagt. In späteren Jahren werden sicher Wissenschaftler untersuchen, wie politische Kommunikation funktionieren kann, wenn die persönliche Begegnung ausscheidet. 

Freunden eines guten Rotweins oder leckeren Buffets dürfte eine sich derzeit entwickelnde neue Event-Form nicht so gut gefallen: das virtuelle Sommerfest. Das offenbar erste dieser Art veranstaltete der Verband Game, in dem die Interessen der Computerspiele-Branche gebündelt werden. Zu bestaunen gab es einen virtuellen Reichstag und einen virtuellen Strand. Wer etwas verzehren wollte, war aber auf den heimischen Kühlschrank angewiesen. Schon im Mai hatte das European Leadership Network, einen Empfang zum 55. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik ins Internet verlegt.

Aber es gibt Hoffnung, daß das gesellschaftliche Leben im politischen Berlin bald Fahrt aufnimmt. Erste Vertretungen der Länder haben den Betrieb wieder aufgenommen. Auch die Küchen sind besetzt. So kann etwa die CSU-Landesgruppe mit ihrem Vorsitzenden Alexander Dobrindt wieder in der Bayerischen Landesvertretung in der Behrenstraße tagen – ihrem traditionellen Tagungsort. Etwas irritierend ist es für die Teilnehmer allerdings schon, daß in der Vertretung hygienische Standards zum Schutz vor Corona eingehalten werden, während man in allen Bundestagsgebäuden keine Maskenpflicht kennt, Abstandsgebote regelmäßig ignoriert werden und zum Beispiel die Aufzüge knackevoll sind. 

Dobrindt muß sein Pressegespräch etwa im riesigen Bierkeller der Vertretung abhalten, damit das Abstandsgebot eingehalten werden kann. Aber wie sagte einst der erste Kanzler Konrad Adenauer: „Natürlich achte ich das Recht. Aber auch mit dem Recht darf man nicht so pingelig sein.“

Im Herbst soll es sogar wieder öffentliche Veranstaltungen geben. Die Bayerische Vertretung bastelt an Planungen für eine Weinprobe.