© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/20 / 31. Juli 2020

Corona-Programm der EU – ESM-Kredite mit Besicherungen?
Ausbeutung der Samariter
Dirk Meyer

Wenn’s um Geld geht, gibt’s nur ein Schlagwort: „Mehr!“ Das wußte schon Börsenexperte André Kostolany – und so ist es auch beim 750-Milliarden-Programm „Next Generation EU“. 390 Milliarden Euro sollen als verlorene Zuschüsse, 360 Milliarden Euro als Kredite den Mitgliedstaaten zufließen. Hauptbegünstigter ist Italien, das 85 Milliarden als leistungslosen Transfer und 127 Milliarden Euro als rückzahlbaren Kredit bekommen soll, daneben Spanien (71 bzw. 67 Milliarden) und das von Corona nicht übermäßig betroffene Polen (27 bzw. 34 Milliarden).

Deutschland kann 47 Milliarden Euro an Zuschüssen erwarten, was – gemessen an seinem „fairen“ Anteil am Hilfspaket – einem Nettotransfer von 51 Milliarden Euro entspricht. Jeder Einwohner zahlt damit netto 620 Euro in die EU-Kasse, was der deutschen „next Generation“ fehlen dürfte. Hinzu kommen deutsche Garantien von 190 Milliarden Euro für den Fall, daß einzelne EU-Staaten den Kredit nicht zurückzahlen können oder wollen. Dieses Szenario ist denkbar, denn die fürs Jahresende erwartete Schuldenquote Italiens liegt bei 159 Prozent, die Griechenlands bei 197 Prozent.

Die mit der „EU-Katastrophenschutzrechtsklausel“ (Artikel 122 AEUV) begründeten Hilfen sind nur dann gerechtfertigt, wenn die Schwierigkeiten unverschuldet, Folge von Covid-19 und im Rahmen der Selbsthilfe nicht zu bewältigen sind. Der jahrelange Verstoß gegen die EU-Verschuldungsregeln, ein bestehender Kapitalmarktzugang und die hohen Privatvermögen lassen Italien nicht als bedürftig erscheinen.

Wenn Hilfen notwendig sind, sollten sie bei einstimmigem Beschluß aller Garantiestaaten als Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) vergeben, an Reformauflagen gebunden und mit staatlichen Vermögenswerten besichert werden. Der italienische Staat könnte Immobilien, Infrastruktureinrichtungen und Unternehmensbeteiligungen in ein Sondervermögen auslagern, das bei Kreditausfällen an die EU als Gläubiger zur Verwertung gehen würde.

Diese Auslagerung als Sondervermögen schafft Transparenz und erschwert Vetternwirtschaft und Korruption. Alternativ könnte das italienische Parlament eine Vermögensabgabe „auf Vorrat“ beschließen, die im Falle einer Staatsinsolvenz zur Bedienung der ESM-Kredite verwendet würde. Die Bürger würden nach Rechtfertigung verlangen und unwirtschaftlichen, kreditfinanzierten Verausgabungen Widerstand entgegensetzen. Denn gerade in Italien drohen die Hilfen in alten Strukturen zu versickern. Solidarität – das Einstehen im Notfall auf Gegenseitigkeit – hat Eigenvorsorge und die Einhaltung entsprechender Regeln zur Voraussetzung. Wenn diese nicht erfüllt sind, mutiert Solidarität zur Ausbeutung der Samariter.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.