© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/20 / 31. Juli 2020

Die Zukunft der Arbeitswelt liegt doch nicht im Heimbüro
Von wegen Freiraum und Autonomie
(dg)

Zieht mit dem unsichtbaren winzigen Zuwanderer aus Wuhan eine neue Arbeitskultur herauf? Für Martin Gessmann ist das nach vier Monaten „Homeoffice“ eine rhetorische Frage. In digitalem Unterricht und „Videoschalte“ will der Professor für Kultur- und Techniktheorien und Ästhetik an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung die neue Normalität des Arbeitslebens erkennen. Dann sei endlich Schluß mit dem entfremdeten Dasein auf dem „kleinkarierten Bürostuhl“ unter dem Regime des über die Schulter schauenden, Big Brother ähnelnden Chefs. „Freiraum und Autonomie“ winken. Nicht mehr jeden Tag stur ins Büro zu müssen, heiße auch weniger Pendlerverkehr, weniger Autos in den Innenstädten, weniger CO2 und Stickoxide, weniger „Fernmeetings“, zu denen Professoren und Manager gern „im Flieger“ eilten. Und das Wichtigste sei, so schwurbelt Gessmann in schönster 68er-Lyrik, daß die „Bürosilos der Metropolen Zentren der Selbstbestimmung würden“ – wenn man sie in Wohnraum verwandelte. Für die sich mit „Ästhetik und Ethik der Aufmerksamkeit“ beschäftigende Philosophin Susanne Schmetkamp (Universität Fribourg) sind solche Zukunftsvisionen nichts als üble Männerphantasien. Habe die Corona geschuldete Heimarbeitspraxis, die Alleinerziehende häufig in die Isolation und Depression treibe, doch bewiesen, daß ihre Hauptlast Frauen trügen, die weiter für Familie, Haushalt, Heim-Unterricht zuständig seien (Philosophie Magazin, 5/2020). Überdies sei der Mensch ein soziales Wesen, das, wie schon Hegel wußte, seine Freiheit nur durch den Austausch mit anderen erlange. „Also: ab ins Büro.“ 


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