© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/20 / 31. Juli 2020

Die Realität hinter sich lassend
Kino: „Master Cheng in Pohjanjoki“ von Mika Kaurismäki
Claus-M. Wolfschlag

Nur wenige Filme thematisieren die bitteren Realitäten der Einwanderungsgesellschaft aus Sicht des Aufnahmevolkes. Allzu häufig herrscht die Perspektive der Einwanderer, die als leidende Opfer dargestellt werden. Gerade dem Tod und der Perspektivlosigkeit in ihren Heimatländern von der Schippe gesprungen, werden sie in der weißen Welt mit Behördenwillkür und eingeborenen „Rassisten“ konfrontiert. Das sind die Filme für das politischere Publikum mit Vorliebe zu Dramen, das auf diese Weise seine Positionen bestätigt sehen möchte. Für das unpolitischere Publikum gibt es dagegen die Komödie, in der die „multikulturelle Gesellschaft“ zwar zu anfänglichen Irritationen führt, vor allem bei den Alteingesessenen, sich aber nach einigen harmlosen Turbulenzen das allgemeine Wohlbefinden einstellt. „Master Cheng in Pohjanjoki“ gehört in letztere Kategorie. 

Um einem finnischen Freund Schulden zurückzuzahlen, nimmt der Koch Cheng (Pak Hon Chu) mit seinem kleinen Sohn die weite Reise aus China in die finnische Provinz auf sich. Der Freund ist indes zwischenzeitlich verstorben, und so darf er bei der Restaurantbetreiberin Sirkka (Anna-Maija Toukko) unterkommen. Im Gegenzug zeigt sich Cheng erkenntlich und übernimmt die dortige Küche. Statt Wurst und Kartoffelbrei werden nun ausgefeilte lukullische Kreationen angeboten. Asiatische Touristen, die seltsamerweise in dieser leeren Landschaft von ihren Reisebussen ausgespuckt werden, wissen das Angebot sehr zu schätzen. Der Laden wird zur Touristen-Anlaufstelle und beginnt zu brummen. Und auch die anfangs renitenten Einheimischen sind zunehmend begeistert. Aus dicken, kranken, alten Alkoholikern werden wieder fröhliche, aktive Mitmenschen. Daß zur Abrundung dieser gelungenen Kulturbegegnung vorhersehbare Liebesbande nicht fehlen dürfen, versteht sich fast von selbst. Selbst der verschlossene, zuvor nur an der Spielkonsole klebende Sohn schließt Kontakt zu Gleichaltrigen, vor allem zu den beiden einzigen, aber überpräsent von der Kamera eingefangenen Kindern mit südländischem Aussehen. Als einziger Störfaktor in diesem Idyll erweisen sich zwei dümmliche Polizistenkarikaturen, die Herrn Cheng wegen seines abgelaufenen Touristenvisums abzuschieben versuchen. 

Einwanderung wird somit als Bereicherung für das erstarrte finnische Dorf dargestellt. Herr Cheng habe ihnen wieder Hoffnung gegeben, äußert einer, der sich zuvor betont als „heterosexueller weißer Mann“ vorgestellt hat. Zum frischen kulturellen Wind gesellen sich wirtschaftlicher Erfolg und die Stärkung der Volksgesundheit, was angesichts der Ausbreitungswege des Corona-Virus in diesem Fall sogar eine gewisse amüsant-skurrile Note besitzt. 

Regisseur Mika Kaurismäki ist der ältere Bruder des bekannter gewordenen Aki Kaurismäki. Von 1977 bis 1981 hatte er an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studiert und in letzter Zeit mit Dokumentarfilmen zu brasilianischen Themen auf sich aufmerksam gemacht. 2011 veröffentlichte er „Mama Africa“ über die Sängerin Miriam Makeba und ihr politisches Engagment gegen Rassismus und für soziale Gerechtigkeit.

Nun hat er ein Einwanderungsmärchen kreiert. Weder entspricht Mr. Cheng der Mehrheit der Einwanderer nach Europa, noch sind abgelegene Dörfer wie Pohjanjoki deren begehrtes Ziel. Der Film ist nett anzusehen, teils unterhaltsam, und er findet sicherlich sein Publikum unter Besuchern, die unter kultureller Konfrontation und daraus entstehender Bereicherung fast ausschließlich solche kulinarischer Art kennen. Auch einem kritischen Betrachter wird der Streifen nicht richtig weh tun. Gleichwohl wirkt er seltsam aus der Zeit gefallen. Wie die ersten „multikulturellen“ Sketche eines Gerhard Polt, in denen stets einzelne, freundliche, gut ausgebildete Einwanderer auf eine dümmlich-stumpfe deutsche Aufnahmegesellschaft treffen. 

So wie manche mit Alkoholkonsum die Realitäten wegzutrinken versuchen, mag für andere womöglich der Besuch solcher „romantischer Komödien“ eine ähnliche Wirkung besitzen. „Master Cheng in Pohjanjoki“  bietet „multikulturelles“ Wohlfühlkino in homöopathischer Dosierung, an der sich kaum jemand zu reiben vermag. Die Märchenwelt endet für viele indes zwei Meter außerhalb des Kinoeingangs.