© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/20 / 31. Juli 2020

Meldungen

Gegen Mißbrauch des Antisemitismusvorwurfs

DORTMUND. Über 60 Wissenschaftler, Schriftsteller und Künstler aus Deutschland und Israel haben in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einem „inflationären, sachlich unbegründeten und gesetzlich unfundierten Gebrauch des Antisemitismus-Begriffs“ gewarnt – mit einem scharfen Vorwurf gegen den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein. In dem Brief, der auf das-palaestina-portal.de veröffentlicht wurde, heißt es, Klein lenke mit der Unterstützung „rechtspopulistischer israelischer Stimmen die Aufmerksamkeit von realen antisemitischen Gesinnungen und Ausschreitungen ab, die jüdisches Leben in Deutschland tatsächlich gefährden“. So werde geduldet, „daß Stimmen des Friedens und des Dialogs diffamiert und mundtot gemacht werden“. Auch in Deutschland schaffe das eine „Stimmung der Brandmarkung, Einschüchterung und Angst“. Sie betonen ihre Sorge um die drohende Annexion palästinensischer Gebiete und erwarten eine Initiative der Bundesregierung, um neue Verhandlungen zu ermöglichen. Unterzeichnet ist der Brief unter anderem vom Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, dem Schriftsteller Christoph Hein, dem Historiker Moshe Zimmermann, dem Islamwissenschaftler Menachem Klein und dem ehemaligen Präsidenten der Akademie der Künste, Klaus Staeck. (mp)





Historiker sieht Gefahr für Meinungsfreiheit

Potsdam. Der Historiker René Schlott hat besonders deutschen Geisteswissenschaftlern ein zu vorsichtiges Verhalten und einen zum Teil vorauseilenden Gehorsam vorgeworfen. „Das ist gefährlich sowohl für die Meinungsfreiheit als auch für die Wissenschaftsfreiheit“, sagte Schlott im DLF. Es gebe Grenzen des Sagbaren. Aber auch diese sollte man „kritisch hinterfragen, denn das ist ja ein Wesenskern der Wissenschaft“, sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Allzu verbreitet sei es, sich dem herrschenden Diskurs anzuschließen. Schlott kritisiert dabei besonders die neuen Medien, die in Debatten „neue Mauern errichtet haben“. Im Internet koche die Empörung schnell hoch, unliebsame Debattenbeiträge würden oft verhindert und die Autoren dazu gedrängt, diese zu löschen. Unliebsame Stimmen würden scharf angegangen, denunziert und von Veranstaltungen ausgeladen. Debattenbeiträge würden verhindert. An US-amerikanischen, aber auch deutschen Universitäten würde immer stärker eine sogenannte „Cancel Culture“ praktiziert, ein Boykott von Personen, denen beleidigende oder diskriminierende Aussagen oder Handlungen vorgeworfen werden. Dieser Entwicklung müsse entgegengewirkt werden, sagt Schlott. (mp)