© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/20 / 31. Juli 2020

Angriff auf das Haus des Seins
Der Schriftsteller Thor Kunkel über eine ideologisch manipulierte Sprache, die unser Denken blockiert
Michael Dienstbier

Thor Kunkel und die Sprache – das ist ein fast schon intimes Verhältnis. In den achtziger und neunziger Jahren in der Werbebranche tätig, beriet er anschließend so unterschiedliche Arbeitgeber wie Coca Cola oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. 

Seit mehr als zwanzig Jahren ist Kunkel als Schriftsteller tätig und feierte mit dem zum Skandalbuch erklärten „Endstufe“ (2004) und dem Roman „Subs“ (2011) große Erfolge. Das Attribut „umstritten“ haftete ihm schon lange an, und spätestens seit er in den Wahlkämpfen 2017 und 2019 als Plakatgestalter für die AfD tätig war, ist er regelmäßiges Objekt von Diffamierungskampagnen. So verunglimpfte ihn die Spiegel-Autorin Melanie Amann in einem 2017 veröffentlichten Portrait als „NPD-Mann auf Speed“. 

Kunkel weiß also, wie es ist, wenn Sprache in manipulativer Absicht gegen einen verwendet wird; als Werber und Autor weiß er aber auch, wie man durch den gezielten Einsatz von Sprache Denkrahmen erzeugt – neudeutsch: „Framing“ –, die das Erfassen und Bewerten von Wirklichkeit steuern. In seiner furiosen Darstellung „Das Wörterbuch der Lügenpresse“ analysiert Kunkel anhand zahlreicher Beispiele, wie die deutsche Sprache in den vergangenen Jahren zum Kriegsschauplatz eines gigantischen ideologischen Umerziehungsprojektes geworden ist, das bis in die intimsten Lebensbereiche eines jeden einzelnen vordringt.

Anne Will gendert jetzt, und die Jubelstürme des polit-medialen Establishments waren so einhellig wie vorhersehbar. In ihrer Sendung vom 24. Mai dieses Jahres hieß sie herzlich den Präsidenten des „Bundes der Steuerzahler…Innen“ willkommen, damit es auch jeder mitbekommt mit nicht zu überhörender Kunstpause. Die gemessen an der Anzahl ihrer Auftritte in den Talkshows der Staatsmedien das Land mit absoluter Mehrheit regierende Annalena Baerbock ließ sich da nicht lumpen und sprach noch in derselben Sendung vom „Bund der Steuer-Innen-Zahler“. 

Diese sprachliche Realsatire lediglich als intellektuelle Selbstentblößung einer überforderten Politikerin abzutun, verkennt den Ernst der Lage. Gendern, so Kunkel, sei Sprachpolitik unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung. Daß das grammatikalische Genus mit der biologischen Geschlechtlichkeit identisch ist, sei blanker Unsinn: „Die Wüste hat keine Vagina, der Wald keinen Penis, die Rakete (…) ist ebenso wenig weiblich, wie der Mond (Luna) männlich ist“, formuliert Kunkel einprägsam. 

Die Gender-Ideologen zielten auf etwas viel Größeres: „Wer die männliche und weibliche Sexualität dysfunktional macht, der nimmt in Kauf, daß die Grundspannung des Volkes verlöscht. Nachwuchs bleibt aus, die fundamentalste menschliche Einheit, die Familie, zerbricht.“ Die Familie als Hindernis auf dem Weg zur sogenannten Volksgemeinschaft oder als Hort der bürgerlich-kapitalistischen Reaktion war schon immer das bevorzugte Angriffsziel all derjenigen, die eine Utopie im Diesseits verwirklichen wollten. Die desaströsen Konsequenzen dieser Versuche sind bekannt.

Für Martin Heidegger war die Sprache das „Haus des Seins“. Wie eine Warnung klingt heute jedoch der zweite Teil des Zitats: „Die Denker und Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung.“ Für Kunkel besteht diese Wächterschicht aktuell aus etwa 70.000 in Deutschland festangestellten Journalisten, die als Teil eines medialen Komplexes den Korridor des Sagbaren bestimmen und im Namen von Antidiskriminierung und Diversität Begriffe erfinden, die das Bezeichnete nicht darstellen, sondern vielmehr verschleiern oder semantisch konträr aufladen. 

Der erste Wörterbuchteil „Deutsch – ‘Zwecklügen’ – Deutsch“ versammelt einige dieser Begriffsumdeutungen, die mittlerweile Teil unserer Alltagssprache geworden sind: Volk wird zu „Bevölkerung“, Ausländerbehörde zu „Willkommensbehörde“ und aus Jesus wird ein „Flüchtlingskind“. Der umfangreichere zweite Wörterbuchteil „Lügenpresse – Deutsch“ ist Ergebnis einer mehrjährigen Recherchearbeit, bei der Kunkel und sein Team die analoge und digitale Medienwelt nach ideologischen Begrifflichkeiten durchforstet und anschließend in begriffsscharfes Deutsch übersetzt haben. So bezeichnet der negativ konnotierte Begriff „Abschottung“ für die Autoren die „Grenz- und Einwanderungspolitik aller Länder der Weltgeschichte bis September 2015“ und was als „Übergriff“ verharmlost wird, stelle fast immer eine Vergewaltigung dar.

Dynamik der Sprache entsteht meist von unten

Es ist eine Mischung aus moralischem Druck und blankem Opportunismus, die den politisch-korrekten Neusprech der Gegenwart seine Erfolge feiern läßt. Befürworter der aktuellen Sprachpolitik behaupten, daß Sprache nie statisch und die Veränderungen der vergangenen Jahre somit etwas völlig Normales gewesen seien. Stimmt, Sprache ist dynamisch, aber in normalen Zeiten entsteht diese Dynamik von unten durch den alltagstauglichen Gebrauch neuer Formulierungen von einer stetig wachsenden Anzahl von Sprechern und nicht als Ergebnis eines von einer globalistischen Elite oktroyierten ideologischen Projektes von oben, welches Verstöße gegen die neue Sprachnorm zunehmend auch mit juristischen Mitteln – Stichwort: „Hate Speech“ – ahndet. 

Es bedarf wieder Mut, sich außerhalb vorgegebener Deutungsrahmen zu artikulieren. Dieser Mut ist jedoch der Wesenskern eines mündigen Staatsbürgers, der nicht bereit ist, sein Denken durch einen zunehmend verkümmernden Sprachgebrauch einschränken zu lassen. Thor Kunkel öffnet mit seinem Buch die Tür zur Rückeroberung unserer Muttersprache. Durchgehen muß jeder selbst!

Thor Kunkel: Das Wörterbuch der Lügenpresse. Kopp Verlag, Rottenburg 2020, gebunden, 383 Seiten, 22,99 Euro