© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Corona-Großdemonstration
Wurzeln der Entrüstung
Dieter Stein

Wie lange erträgt eine Gesellschaft die Anti-Corona-Maßnahmen? Die Masken beim Einkaufen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und bei Veranstaltungen – jetzt auch für die Schüler, wenn ein regulärer Schulbetrieb wieder losgehen soll. In Alltagsgesprächen wird jeder die Erfahrung machen, daß zwar weiterhin eine deutliche Mehrheit geduldig und diszipliniert die Vorschriften gutheißt und die allermeisten sie auch einhalten – doch eine wachsende Zahl quer durch alle politischen Lager und sozialen Schichten zunehmend Zweifel hegt, ob über Folgen und Gefahren der Pandemie richtig informiert wird. 

Niederschlag fand diese weitgehend unter der Oberfläche rumorende Unzufriedenheit jetzt bei einer Großdemonstration in Berlin, bei der es einem Netzwerk von Corona-Kritikern gelang, mehrere zehntausend Demonstranten auf die Straße zu bringen. Weil die Teilnehmer sich aber einhellig und planmäßig nicht an die Auflagen hielten (Maskenpflicht und Abstände), brach die Polizei die Veranstaltung ab. 

Die Corona-Demonstration „Tag der Freiheit“ in eine Reihe zu stellen mit den Protesten vom November 1989, bei denen es um eine Erhebung gegen eine Diktatur ging, ist abwegig. Berechtigte Empörung löst aber aus, wie etablierte Medien und Politik auf legitimen, demokratischen und friedlichen Protest reagieren. Ob es pauschale diffamierende Worte von „Co­vidioten“ (SPD-Chefin Saskia Esken) sind oder wenn „Tagesschau“ und „Heute“ in der Berichterstattung auffällig die kuriosesten Teilnehmer vorführen, um die Kundgebung verächtlich zu machen.

Daß die ZDF-Journalistin Dunja Hayali zeitweise mit aggressiven „Lügenpresse“-Rufen bedrängt wurde, als sie mit einem Kamerateam durch den Demonstrationszug streifte, ist inakzeptabel, egal wie tendenziös die Berichterstattung ihres Senders ist – bei einer zeitgleich stattfindenden linken Demo in Neukölln, an der 2.500 Linksextremisten teilnahmen, hätte sie sich indes keine Minute vergleichbar aufhalten können. Die Chaoten errichteten dort brennende Barrikaden, bewarfen Polizisten mit Pflastersteinen und Flaschen, mehrere Beamte wurden verletzt. 

Es gab hier keinen Aufschrei über erneute linke Gewalt in der Hauptstadt. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Verletzung von Abstandsregeln und Maskenpflicht bei der großen „Black Lives Matter“-Demo Anfang Juni in Berlin nicht zum Abbruch durch die Polizei führte, als rund 15.000 Protestler dicht an dicht auf dem Alexanderplatz standen. 

Es sind nun diese offensichtlichen doppelten Standards, das ständige medial-politische Messen mit zweierlei Maß – kommt Protest von den „Richtigen“ (links) oder „Falschen“(rechts)? –, das immer mehr Bürger empört und zusätzlich die Reihen der Corona-Demo gefüllt haben mag.