© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

In der Todeszone
Krise der FDP: Die Partei schwächelt in Umfragen, Wirtschaftsvertreter gehen auf Distanz / Linksliberale Bundestagsfraktion gibt Ton an
Jörg Kürschner

Wird die FDP überflüssig? „Die Führung einer Partei ist ein Auf und Ab“, kommentierte Parteichef Christian Lindner jüngst die mißliche Lage der Liberalen, die in Umfragen seit einiger Zeit bedenklich nahe an der Todeszone von fünf Prozent schrammen. Das ernüchterte Fazit steht in Kontrast zu dem erfolgsverwöhnten Retter, der die demoralisierte FDP nach ihrem Bundestags-Rauswurf 2013 aufgerichtet und vier Jahre später mit achtbaren 10,7 Prozent zurück ins Parlament geführt hat.

Seitdem gelingt Lindner kaum noch etwas. Die Grundüberzeugungen der FDP hätten derzeit „keine große Konjunktur“, konstatiert er, zu Corona-Zeiten sei der starke Staat gefragt. Doch werde seine Partei unbeirrt für mehr Eigenverantwortung in der Sozialen Marktwirtschaft kämpfen. Die Freidemokraten haben es schwer in einer ohnehin mehrheitlich staatsgläubigen Wählerschaft, die die Liberalen nicht zu vermissen scheint.

Sie können nicht mehr Schicksal spielen

Auch als Koalitionsoption spielen sie keine Rolle mehr. In der Union spricht kaum noch jemand von den jahrzehntelang als „geborenen“ Bündnispartner umgarnten Liberalen. Der zu Jahresbeginn von Unions- und FDP-Bundestagsabgeordneten gegründete „Liberal-Konservative Kreis“ (LKK) gegen eine schwarz-grüne Koalition nach der Bundestagswahl blieb ohne nennenswerte Resonanz. Im Gegenteil. Die Bewerber um den CDU-Vorsitz Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen sowie CSU-Chef Markus Söder schmeicheln der Öko-Partei, sind längst selbst ergrünt. Dauerkanzlerin Angela Merkel (CDU) konnte mit den Liberalen nie etwas anfangen, hat ihren Vizekanzler Guido Westerwelle eher schnöde behandelt.

Und die SPD? Von der sozialliberalen Ära der Jahre 1969–1982, damals als „historisches Bündnis von Arbeiterschaft und geläutertem Bürgertum“ überhöht, wird im Willy-Brandt-Haus nur noch auf Ehemaligentreffen geschwärmt. Diese Zeit liegt lange zurück wie der kürzliche Tod Hans-Jochen Vogels, Ressortminister in SPD/FDP-Kabinetten, noch einmal ins Gedächtnis gerufen hat. Anno 2020 schielt das Vorsitzenden-Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zur Linkspartei, träumt von Rot-Rot-Grün. Um das „Waagscheißerle“, wie der legendäre CSU-Chef Franz Josef Strauß die FDP verächtlich nannte, da sie 1969 mit ihrer Hinwendung zur SPD den Machtverlust der Union besiegelte, ist es einsam geworden. Die Liberalen können nicht mehr Schicksal spielen.

Dabei hatten sie es Anfang Februar in der Hand, als sich der Thüringer Fraktionschef Thomas Kemmerich mit den Stimmen von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten des Freistaats wählen ließ. In einer Minderheitsregierung ohne Beteiligung der AfD hätte er Regierungskunst beweisen können, wäre da nicht die Empörung ob des „Tabubruchs“ – sogar von „Zivilisationsbruch“ war die Rede – gewesen. Kemmerich trat bald zurück, Lindner drohte mit seinem eigenen Rücktritt. Zuvor hatte er ebenso wie sein Vize Wolfgang Kubicki Kemmerich gratuliert. Doch aus den Reihen der linksliberal dominierten Bundestagsfraktion wurden schwere Geschütze aufgefahren. Von „parteischädigendem Verhalten“ war die Rede, sogar Kemmerichs Parteiaustritt wurde gefordert, massiv unterstützt von den Gefolgsmedien der Kanzlerin, die im fernen Südafrika von einem „unverzeihlichen Vorgang“ sprach.

So ist das angebliche Fehlverhalten in der Causa Kemmerich zum festen Bestandteil jedes Lindner-Interviews geworden. Peinlich genug, manchmal liefert er sogar selbst das Stichwort. Kein Wunder, hatte er doch im Bundestag eine entschuldigende „Winselrede“ gehalten. Daß Kemmerichs Familie nach dessen überraschender Wahl angespuckt, beschimpft und bedroht worden war und die sechs Kinder unter Polizeischutz gestellt werden mußten, die FDP plötzlich im „Fokus von Linksextremisten“ stand, wie der linksliberale Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle entsetzt feststellte, scheint Lindner nicht sonderlich zu berühren. Er nutzte vielmehr die Haß-Attacken der Antifa, um Druck auf den unbequemen Parteifreund auszuüben. „Ich rate ihm, mit Rücksicht auf seine eigene Person, seine Familie, die ja auch öffentlich Kritik ausgesetzt sind, auf eine Kandidatur an der Spitze zu verzichten“.1:0 für die Antifa.

Parteiintern wird er für den gescheiterten Wiedereinzug in die Hamburger Bürgerschaft verantwortlich gemacht. Aushalten muß er auch die ständigen Nörgeleien des 87jährigen Gerhart Rudolf Baum, der sich als Stimme der Linksliberalen versteht. „Vier Jahre Bundesinnenminister, 40 Jahre Talkshow“ stöhnen einige Parteifreunde hinter vorgehaltener Hand. „Die FDP ist viel zu weit nach rechts gerückt“, befand Baum kürzlich, bis 1982 Ressortchef unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD). Lindners „schwere Führungsfehler“ seien das Nein zu einer Jamaika-Koalition und das Lavieren in Thüringen gewesen.

Eine wenig komfortable Lage des „Retters von 2017“, dessen Generalsekretärin Linda Teuteberg die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Doch mußte es 2019 unbedingt eine „Frau aus dem Osten“ sein, obwohl der nachdenklichen Brandenburgerin jegliche Wadenbeißerqualitäten fehlen. Gesucht wird eine „Rampensau“, die das verunsicherte Parteivolk von den Stühlen reißt. Schon werden Nachfolgekandidaten wie der Sozialpolitiker Johannes Vogel genannt, als Schüler bei den Grünen und später ein wahlkampferprobter Vertrauter Lindners aus Nordrhein-Westfalen. Wird der es wagen, eine ostdeutsche Frau auszutauschen gegen einen westdeutschen Mann? Ein Befreiungsschlag mit Blick auf die Bundestagswahl? 

Lindner gibt sich unbeirrt. „Wir arbeiten dafür, im kommenden Jahr gut abzuschneiden“. Und selbstbewußt lächelnd versichert er: „Meine Partei hat etwas anzubieten – und ich ihr.“