© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Ländersache: Nordrhein-Westfalen
Dicke Luft im Hause Tönnies
Karsten Mark

Für den Markennamen „Tönnies Fleisch“ hätte es kaum schlimmer kommen können. Als im Juni fast 1.800 Mitarbeiter im Schlachtbetrieb von Rheda-Wiedenbrück positiv auf das Coronavirus getestet wurden, brach eine kaum zu überbietende Welle öffentlicher Empörung über den ostwestfälischen Fleischbaron Clemens Tönnies herein. Schlechtbezahlte „Sklavenarbeiter“ aus Rumänien, Polen und Bulgarien müßten unter elenden Bedingungen schuften und leben – nur darum habe sich das Virus so schnell unter ihnen ausbreiten können, so der einhellige Tenor unter Gewerkschaftern und Medien. Mittlerweile ist klar: Mit Abstandsregeln hatte man es bei Tönnies und seinen osteuropäischen Subunternehmern, die ihre Arbeiter über Werkverträge beschäftigen, tatsächlich nicht allzu genau genommen. 

Noch maßgeblicher für den bis dato größten bekannten Corona-Ausbruch in Europa dürfte indes das Belüftungssystem in den Kühlhäusern des Schlachtbetriebs gewesen sein. Um die Temperaturen auch im Sommer dauerhaft niedrig zu halten, wird nur ein geringer Teil (warmer) Frischluft von der Klimaanlage angesaugt. Überwiegend wird die bereits gekühlte Luft einfach immer wieder umgewälzt – ideale Bedingungen, um das Coronavirus zu verbreiten. Dieses Problem sieht Clemens Tönnies nun gelöst: Die Klimaanlagen wurden mit Hochleistungsfiltern und UV-Desinfektion nachgerüstet, die Arbeitsabstände vergrößert und ein Mund-Nasen-Schutz vorgeschrieben. Seit dem 15. Juli darf der Schlachthof wieder produzieren. Auch um die Unterbringung der Arbeiter will sich Tönnies nun kümmern. „1.500 Appartements für maximal 3.000 Mitarbeiter“ sollen gebaut werden. Von Massenunterbringung habe auch in der Vergangenheit keine Rede sein können, meinte Tönnies jüngst in der branchennahen Lebensmittelzeitung. Das Chaos bei der Beschaffung von Namens- und Adreßlisten kurz nach dem Corona-Ausbruch legte allerdings den Eindruck nahe, daß sich bis dahin niemand so recht für die Unterbringung der Arbeiter interessiert hatte.

Bis die Listen vervollständigt werden konnten, hatte sich bereits jeder fünfte in die Heimat abgesetzt. Die Verbliebenen wurden vom zuständigen Gesundheitsamt des Landkreises Gütersloh offenbar ungerechtfertigterweise alle über einen Kamm geschoren und kollektiv unter Quarantäne gestellt – ungeachtet von Testergebnissen oder der Tatsache, daß einige von ihnen bereits wieder als genesen galten, wie das ARD-Magazin „Monitor“ berichtete. Immerhin sollen die meisten bald einen festen Arbeitsvertrag erhalten. 

Die Arbeitsminister in Bund und Land, Hubertus Heil (SPD) und Karl-Josef Laumann (CDU), waren sich schnell darin einig, die Beschäftigung über Werkverträge und Leiharbeit in großem Umfang zu beenden. Eine entsprechende Gesetzesvorlage für 2021 hat Heil bereits auf den Weg gebracht. Unterdessen mehrten sich Befürchtungen, Tönnies könnte das Verbot abermals umgehen. Denn erst vor kurzem hatte er 15 neue Tochtergesellschaften ins Handelsregister eintragen lassen. Das dürfte jedoch eher eine Vorbereitung auf das Verbot sein, meinen Arbeitsrechtler wie Steffen Scheuer. Die Fleischindustrie sei „aufgrund der jüngsten Ereignisse unter so enger Beobachtung, daß ein Umgehungsversuch mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannt würde und dann existenzbedrohende Folgen haben dürfte“, sagte er dem Handelsblatt.