© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

China kauft sich die Welt
Pekings Langzeitstrategie: Handelswege und Verkehrsinfrastruktur, Kreditvergabe, Firmenzukäufe in strategisch wichtigen Sektoren – das Riesenreich will uns mit Softpower wirtschaftlich unterwerfen
Albrecht Rothacher

Selten hat ein Staat seine Ambitionen präziser angesagt. Bis 2025 will die kommunistische Volksrepublik China zur führenden Technologiemacht der Welt aufsteigen. Das wurde lange belächelt, als China noch Weltmarktführer für Plastikspielzeug, T-Shirts und Socken war.

Doch sollte man Chinas Ehrgeiz, zur Wirtschaftsweltmacht Nr. 1 zu werden, mit seinen 1,4 Milliarden fleißigen, zusehends besser qualifizierten Einwohnern, einem vierstelligen Milliardenschatz an Devisenreserven und dem aggressiven Begehren der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), auf die Wirtschaftsressourcen in Deutschland und Europa zugreifen zu können, ernst nehmen. Donald Trump hat China als strategischen Rivalen erkannt. Der Gefahr für die US-Hegemonie begegnet er mit Schutzzöllen und Technologieembargos, während die 27 EU-Führer sich bislang bestenfalls auf die nichtssagende Formel „Strategischer Partner und systemischer Rivale“ einigen konnten und sich in Gewährenlassen ergehen.

China baut eine Brücke in Kroatien, und die EU zahlt

Die chinesische Wirtschafts- und Technologieoffensive verläuft Hand in Hand mit den strategischen Expansionsinteressen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Ziel Pekings ist die Dominanz des Westpazifiks, Südostasiens, der Rohstoffschätze Afrikas und der entsprechenden Seewege mit der militärischen Befestigung von Atollen im Südchinesischen Meer. Dazu hat die KP eine Kette chinesisch kontrollierter Häfen geknüpft von Kambodscha und Sri Lanka über Pakistan, die Malediven bis Ostafrika sowie Griechenland. Dominiert werden soll der Eurasische Kontinent, die Rohstoffe Sibiriens, die Mongolei und Zentralasien und die Landwege im Rahmen der „Belt-and-Road-Initiative“ und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), gleichsam als Verlängerung des hanchinesischen Kolonialismus gegenüber den Tibetanern, Uighuren, Manchus, Inneren Mongolen und den Völkern Süd-Chinas.

Zunächst wurden mit Infrastrukturprojekten und Knebel-Krediten leichte Ziele wie Kambodscha, Laos, Burma, etliche Pazifikrepubliken, Sri Lanka und Pakistan gefügig gemacht. Aktuell sind Thailand und die Philippinen im Visier. Es folgten massive Rohstoffprojekte in Afrika, Zentralasien und Lateinamerika nach immer gleichem Strickmuster: China finanzierte und baute die Lieblingsprojekte des örtlichen Diktators – einen neuen Riesenpalast, Panzer für die Leibwache, neue Flughäfen und Sportstadien. Im Gegenzug erhielt Peking Öl- und Erzkonzessionen sowie Plantagenland. In Europa stießen die Chinesen im südöstlichen weichen Unterleib des Kontinents vor: auf dem Balkan von Griechenland bis Ungarn. In Italien übernahmen sie im toskanischen Prato mit Zehntausenden importierten Arbeitern die örtliche Textilindustrie.

In Griechenland hat die staatliche Schiffahrtsgesellschaft „China Ocean Shipping Company“ (Cosco) den Hafen von Piräus modernisiert und systematisch zu einem Brückenkopf nach Europa ausgebaut. 2016 übernahm Cosco in einem spektakulären Coup die Mehrheit an der einheimischen Hafengesellschaft PPA. Nächstes Jahr werden weitere 16 Prozent der Aktien von Cosco übernommen. Mittlerweile ist Piräus zum größten Container-Umschlagplatz im Mittelmeer geworden und zum viertgrößten in  Europa. Nach der Passage des Suezkanals löschen chinesische Frachter ihre Ladung in Piräus, von dort werden sie in EU-Länder verteilt und bauen Chinas Wirtschaftsmacht aus.

China baut die Hochgeschwindigkeitsstrecke Belgrad – Budapest, die Autobahn zwischen Serbien und Montenegro sowie nordwestlich von Dubrovnik eine fast zweieinhalb Kilometer lange, vierspurige Schrägseilbrücke zum kroatischen Festland – zu 85 Prozent aus dem EU-Budget bezahlt, womit Hunderte Millionen Euro direkt in die chinesische Staatskasse fließen.

An 13 weiteren EU-Häfen, von Malta über Genua bis Rotterdam und Memel (Klaipeda) haben chinesische Schiffahrtslinien Anteile und Terminals zur bevorzugten Abfertigung ihrer Fracht gekauft. In Rotterdam soll Cosco 2016 über ein Drittel der Anteile am Euromax-Terminal übernommen haben. Ironischerweise hat gerade Deutschland nach der Griechenlandkrise auf den Verkauf maroder Kraftwerke, Stromnetze und der Verkehrsinfrastruktur im Süden Europas, die sonst niemand haben wollte, an chinesische Staatsbetriebe gedrängt.

Auch die Deutsche Bahn ist hilfreich: So fahren allwöchentlich etwa 30 Frachtzüge die 11.000 Kilometer lange Strecke vom ostchinesischen Chongqing nach Duisburg. Die Fahrt rechnet sich, denn für Güter ist die Luftfracht zu teuer und der Seeweg durch die Tropen zu langsam und zu heiß. Mit einer Maximalfracht von 60 Containern pro Zug entspricht das Gesamtvolumen einer Woche etwa 1.800 Containern, der Ladung eines kleineren Containerschiffes. Die Strecke ist zunächst nur ein Nischenkanal, soll jedoch – russisches Einverständnis vorausgesetzt – für chinesische Hochgeschwindigkeitszüge ebenso ausgebaut werden wie die geplante Verbindung Peking – Singapur.

300 Milliarden Dollar hat China bislang in Europa investiert. Bis 2016 wurde ziemlich wahllos eingekauft. In jenem Jahr waren es 309 europäische Firmen. Der Mischkonzern Fosun etwa erwarb sich ein Sammelsurium: den Club Med, die Modemarke Tom Taylor, die Privatbank Hauck & Aufhäuser mit dem Düsseldorfer Bankhaus Lampe sowie das Reiseunternehmen Thomas Cook, das er im Vorjahr pleite gehen ließ. Die Osram-Lampensparte wurde vom chinesischen Konsortium MLS Electronics aufgekauft.

Die aktuelle Krise kommt aus China und nützt China

Ab 2016 durften die Auslandsinvestitionen nur noch in von der Kommunistischen Partei als strategisch definierte Sektoren gehen: Hochtechnologien, Werkzeugmaschinenbau, Versorger und Transportunternehmen. Als Chinas reichster Mann, der Immobilienentwickler Wang Jianlin, weiter in Hotelketten, Freizeitparks, Jachtwerften und Hollywood-Studios investieren wollte, pfiff die Partei ihn unsanft zurück. Ziel ist es, angeschlagene Großkonzerne und unterfinanzierte Mittelständler – letztere vor allem aus Deutschland – unter chinesische Kontrolle zu bekommen, um damit die verbliebenen Technologie- und Qualitätsrückstände zu beheben.

So beteiligten sich Chinas Autobauer Geely – nach dem Erwerb von Volvo – und die BAIC-Gruppe zu 15 Prozent an Daimler. Deutschlands einziger Roboterhersteller Kuka (Augsburg) ging für 4,6 Milliarden Dollar an die Haushaltsgerätefirma Midea, der Münchner Kunststoffmaschinenbauer Krauss-Maffei für eine Milliarde Dollar an den Staatskonzern ChemChina. Den Energiedienstleister Ista International kauften zwei Unternehmen des chinesischen Investors Li Ka-shing; Tycoon Li, der eng mit dem roten Regime in Peking kooperiert, kontrolliert seit 1996 über seine Hutchison Port Holdings die Häfen Cristóbal und Balboa zu beiden Enden des Panamakanals – eine für den Welthandel strategisch äußerst bedeutende Stelle. In Deutschland ist er mit 40 Prozent an der Drogeriekette Rossmann beteiligt.

Eine chinesische Investorengruppe um den Zulieferer ZMJ wiederum übernahm 2017 für 545 Millionen Euro das Starter- und Generatorengeschäft von Bosch.

Weniger bekannte betroffene Mittelständler sind zum Beispiel die Manz AG in Reutlingen, ein Maschinenbauer für die Herstellung von Displays in Handys und Fernsehern, oder Broetje-Automation im norddeutschen Rastede, die Maschinen für die Luft- und Raumfahrtindustrien baut. Alle jene Übernahmen erfolgen nach dem gleichen Trick: Zuerst sichern die Investoren den Erhalt deutscher Arbeitsplätze zu. Bald werden chinesische Techniker und Manager vor Ort angelernt und die aus chinesischer Sicht teure und wenig arbeitsame deutsche Belegschaft nach und nach entlassen, das verbliebene deutsche Mittel-Management wird wenig später „gegangen“. Die Blaupausen und der Maschinenpark werden dann innerhalb eines Jahres nebst der meisten Produktion nach China transferiert. Industriespionage kommt ohne Schlapphut aus.

Doch nicht nur Deutschland ist betroffen. Am aktivsten ist der Staatskonzern ChemChina, der Pirelli Reifen, den französischen Enzymspezialisten Adiseo, den norwegischen Silikon-Hersteller Elkem und als größten Brocken für 43 Milliarden Dollar den Schweizer Agrarchemie und Saatgut-Riesen Syngenta wegkaufte.

Alle China-Investoren – vor allem jene unter direkter Staatskontrolle – haben einen langen Atem. Sie müssen nicht vierteljährlich Gewinne ausweisen, haben tiefe Kassen und einen nahezu unbegrenzten Zugang zu den Kreditschatullen der Staatsbanken. Sie können mit staatlich subventionierten Krediten und Bürgschaften jedes Übernahmeangebot überbieten.

Heute profitiert die zentral kontrollierte Wirtschaft Chinas – das Land, das der Welt das Corona-Virus einbrockte – als einzig verbliebene Wachstumszone von den Niedrigbewertungen, roten Zahlen und Liquiditätsproblemen seiner Mitbewerber als potentielle Übernahmekandidaten. Die Krise schafft Kaufoptionen in Europa und darüber hinaus. In vergangenen Krisen schlugen chinesische Firmen bei vergünstigten Vermögenswerten rund um den Globus zu.

Die Warnungen von BDI und dem Bundesverband der mittelständischen Industrie vor chinesischen Schnäppchenjägern bei der kommenden Insolvenzwelle im Herbst verhallen bisher. Wirtschaftsministerium und Bundesregierung haben sich nur zu einer zahnlosen Begutachtung chinesischer Übernahmen bereitgefunden. Die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager will dagegen eine systematische EU-weite Genehmigungspflicht bei Firmenkäufen. Diesem Vorschlag müssen die 27 Mitgliedsstaaten noch zustimmen.

Der Verlust staatlicher Souveränität bei kritischer Infrastruktur wie Häfen und Versorgungsunternehmen scheint die meisten europäischen Regierungen nicht zu interessieren. Im Gegenteil, sie buhlen wie Merkel auf alljährlichen Peking-Reisen um weitere chinesische Investitionen. Sie bekommen folgenlose chinesische Absichtserklärungen. Das 5G-Netzwerk des Geheimdienst-affinen Huawei-Konzerns scheint nur die wenigsten zu beunruhigen: Es würde der KP Chinas wie bereits im eigenen Land dann in Europa den vollen Datenzugriff ermöglichen. Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Robert O’Brien, warnte Ende 2019 Deutschland vor einer Beteiligung Huaweis am Ausbau des 5G-Netzes. „Zwischen der Kommunistischen Partei Chinas und Huawei“ gebe es „keinen Unterschied“.

Hintergrund-Tip: „Ingenieure der Seele: Was die ganze Welt über die Ideologie von Xi Jinpings China wissen sollte“, Seminarrede von John Garnaut, Professor für Wirtschaftswissenschaften und früherer australischer Regierungsberater und Botschafter in China: 

 www.igfm-muenchen.de

Clive Hamilton/Mareike Ohlberg: Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet. DVA, München 2020, geb., 496 Seiten. 26 Euro