© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Zünder in der Schublade
Chinas Griff auf den Iran: Ein unterschriftsreifes bilaterales Abkommen mit geopolitischen Folgen erhöht die Spannungen in Nahost
Jürgen Liminski

Im Schatten der weltweiten Corona-Krise treibt die chinesische Führung ihr Projekt der globalen Herrschaft voran. Im Blick nun: Teheran. Vor allem der Ausstieg Washingtons aus dem Atomabkommen und die verschärften Sanktionen setzten der Mullarchie empfindlich zu, China wartete ab. Jetzt scheint das ölreiche und geostrategisch wichtige Land am Golf den Chinesen wie eine reife Frucht in die Hände zu fallen. Vor wenigen Tagen stimmte die iranische Regierung einem Übereinkommen zu, wonach China in den nächsten 25 Jahren 400 Milliarden Dollar in die iranische Wirtschaft und das Finanzsystem investieren und China dafür Öl zu sehr günstigen Vorzugspreisen erhalten soll.

Auch im Iran werden kritische Stimmen laut

 Außerdem soll Peking am Ausbau der iranischen Infrastruktur beteiligt werden, also bei Häfen, Eisenbahnen und Telekommunikation. Vor allem die elektronischen Überwachungsmittel sollen den Mullahs helfen, die immer aufsässiger werdende Bevölkerung in Schach zu halten. Das Abkommen sieht zudem eine Zusammenarbeit auf militärischem, geheimdienstlichem und technologischem, sprich nuklearem Gebiet vor. So soll das weltweite Netz der Seidenstraße, sprich der globalen Infrastruktur mit chinesischer Dominanz, auch über den Vorderen Orient gespannt werden.

Noch ist das Übereinkommen nicht unterschrieben. Beide Partner warten die US-Wahl ab in der Hoffnung, daß ein Präsident Joe Biden nicht nur nichts dagegen unternehmen, sondern auch die Sanktionen gegen Iran aufheben würde. Bei Donald Trump ist man sich offenbar sicher, daß die Sanktionen weitergehen und vielleicht sogar verschärft würden. 

Aber auch im Iran selbst werden kritische Stimmen laut, die vor einer zu großen Abhängigkeit von dem Regime der Ungläubigen warnen. Und man kann davon ausgehen, daß bei den Skeptikern auch die Befürchtung eine Rolle spielt, Israel könnte durch das Abkommen zu einem Präventivschlag auf die Nuklearanlagen oder militärischen Schlüsselindustrien gedrängt werden.

Diese Furcht ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Israel hat seit Ende Juni die Luftangriffe und Attacken auf iranische Stellungen in Syrien erweitert auf Ziele im Iran. Die Angriffe in Syrien dienten in der Regel dazu, Lieferungen moderner Waffen an die Hisbollah im Libanon zu unterbinden oder die Aufrüstung der syrischen Armee mit Raketensystemen zu verhindern. Aktuell verfügen die schiitischen Milizen im Libanon über mehr als 100.000 Raketen kleiner und größerer Kaliber. Moderne Systeme wären eine echte Bedrohung für Israel.

Die Ziele im Iran betreffen Militäranlagen oder Nuklearkomplexe. Man kann davon ausgehen, daß Israel viele Informanten in der Bevölkerung und auch in der iranischen Armee hat, die offensichtlich ziemlich genaue Details und Pläne liefern. 

Für die USA gilt immer noch die Carter-Doktrin

Der Angriff und Brand von sieben traditionellen Schiffen (Lenj) in der Werft von Buschehr zum Beispiel dürfte ein Präventivschlag gewesen sein und zwar auf Spezialschiffe zur Lagerung von angereichertem Uran. Diese Schiffe waren als Lenj getarnt, Boote von 26 Meter Länge und sechs Meter Breite, die seit dem 18. Jahrhundert gebaut werden und eigentlich der Fischerei und für das Perlentauchen dienen.

Ein offizielles Abkommen zwischen China und Iran würde Israel vor die Wahl stellen, den wachsenden Handel mit Peking zu gefährden oder den Schattenkrieg mit Iran einzustellen, was wiederum auf Dauer die Sicherheit Israels extrem gefährden und dem weltweiten Terror in der Region Auftrieb geben würde. 

China gehört heute mit einem Volumen von rund 15 Milliarden Euro zu den größeren Handelspartnern Israels und investiert massiv in kleinere High-Tech-Firmen. Natürlich sind sich die israelischen Politiker und Sicherheitsdienste bewußt, daß China Know-how absaugen will, vor allem über Waffentechnik der Zukunft. Aber zu glauben, daß Peking deshalb die geplante strategische Partnerschaft mit Iran aufgeben würde, ist eine Illusion. Peking will beides und würde sich im Ernstfall eher für Iran entscheiden. 

Deshalb wird in israelischen Sicherheitskreisen die Option diskutiert, einen massiven Präventivschlag gegen den Iran zu starten und zwar vor der US-Wahl  und vor dem geplanten Abkommen. Mit der Unterstützung Washingtons kann Israel rechnen. Mit der stillen Unterstützung der arabischen Golfstaaten auch. 

Für die USA gilt nach wie vor die Carter-Doktrin, die Ex-Präsident Jimmy Carter 1979 formulierte. Sie besagt, daß die Ölversorgung aus den Golfstaaten, sprich das Offenhalten der Meerenge von Hormuz, zu den vitalen Interessen der USA zählt. Das Abkommen in der Schublade ist wie ein Zünder.