© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Corona als Druckmittel
Zahlungsmittel: Karte plus App statt Münzen und Scheine / Gesundheit als neues Argument gegen Bargeld?
Dirk Meyer

Nur Bares ist Wahres – dieser gerade in Deutschland vielfach praktizierte Spruch gilt seit den Corona-Schließungen Mitte März nicht mehr uneingeschränkt. Nach einer Studie der Bundesbank (2019) gab es bereits zuvor einen langfristigen Trend hin zum elektronischen Bezahlen. 2017 wurde bei immerhin 78 Prozent der Zahlungsvorgänge des Einzelhandels noch in bar bezahlt, nur 21 Prozent der Kunden nutzten die Kartenzahlung. Barzahlungen dauern gut 22 Sekunden und haben mit 24 Cent die geringsten Kosten – einschließlich Kassierzeit, Geldtransport, Verwaltung pro Zahlungsvorgang. Die Girocard/Lastschrift kommt auf 33 Cent, die Kreditkarte ist mit etwa einem Euro erheblich teurer (JF13/19).

Allerdings wurde das kontaktlose Bezahlen mit dem Handy als relativ neue Zahlmethode in der Studie nicht abgefragt – bereits hieran sieht man den schnellen, auch technologischen Wandel in Richtung digitaler Zahlweisen. Bargeldzahlungen sind ebenso in Österreich (82 Prozent), Japan (80 Prozent) und der Schweiz (60 Prozent) verbreitet. Demgegenüber sind in Schweden (95 Prozent), Großbritannien (62 Prozent) und den USA (54 Prozent) die mehrzahl aller Transaktionen bargeldlos.

Kein schneller Wandel der Zahlungsgewohnheiten

Seit Februar dieses Jahres hat die schwedische Riksbank zudem einen Testlauf für eine Kryptobasierte E-Krone für ein Jahr begonnen, deren Blockchain-Technologie das Bankenwesen revolutionieren könnte. Ähnliche Überlegungen bestehen in China, bei der Schweizerischen Nationalbank, bei der Bank of England, und sogar die EZB hat hierzu ein „White Paper“ veröffentlicht. Der Hintergrund sind private Kryptowährungen wie Bitcoin oder das Libra-Projekt, die das Währungsmonopol der Staaten zunehmend in Frage stellen (JF 30-31/20).

Der Wandel der Zahlungsgewohnheiten wird durch die Corona-Pandemie offenbar beschleunigt, obwohl die statistische Basis eher unsicher ist. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) ermittelte im März einen Anstieg der Anzahl von Kartenzahlungen um 11 Prozent, wobei dieses erreichte Niveau im April konstant blieb. Zahlreiche Geschäfte hatten geschlossen, allerdings wies gerade der Lebensmitteleinzelhandel ein kräftiges Umsatzplus aus. Dort wurden nach Angaben des EHI Retail Institute im März 55 Prozent der Umsätze mit Karte bezahlt, was einen Anstieg von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat bedeutet.

Bezogen auf die Zahlungsvorgänge wird der generelle Trend zum kontaktlosen Bezahlen noch deutlicher: Während im Dezember nur 42 Prozent der Zahlungen kontaktlos getätigt wurden, waren es im März bereits 52 Prozent und im April 57 Prozent. Für ganz Europa gibt der Kreditkartenanbieter Mastercard einen Anteil von 78 Prozent aller Mastercard-Transaktionen an, die kontaktlos stattfanden. Unterstützend dürfte das in Deutschland geltende höhere Limit für Pin-lose Zahlungen von 50 Euro wirken. Auch per Handy wird mehr bezahlt. Nach Angaben der Sparkassen verzeichnete ihre App „Mobiles Bezahlen“ von März auf April einen Anstieg der Transaktionen um 30 Prozent. Interessant ist außerdem ein Anstieg der Bargeldhaltung, der den kurzfristig geänderten Zahlungsgewohnheiten zu widersprechen scheint. Von Januar bis Ende April ist der Banknotenumlauf um 34 Milliarden Euro auf einen Gesamtwert von 782 Milliarden Euro gestiegen. Insbesondere in den beiden Wochen des Lockdowns vom 16. bis 22. März (10,5 Milliarden Euro) und 23. bis 29. März (6,4 Milliarden Euro) fanden netto mehr Auszahlungen an den Geldautomaten statt. Wegen Corona wurde vorsichtshalber auch Bargeld „gehamstert“.

Hohe Infektionsgefahr bei Scheinen und Münzen?

Jedoch unterscheidet sich die Situation zur Finanzkrise 2008. Damals war es ein Mißtrauensvotum gegen die Banken, denn keiner wußte ob und welche Bank eventuell zusammenbrechen würde. Es kam kurzfristig zu einem „bank run“, bei dem speziell große Scheine nachgefragt wurden. Zur Erinnerung: Damals gab die EZB noch den 500er-Schein – von manchen „Bin Laden“ genannt – heraus. Jetzt waren es vornehmlich Scheine zu fünf, zehn, 20 und 50 Euro, die abgehoben wurden – gerade die Barreserve, die man in ungewissen Zeiten für die Einkäufe des täglichen Bedarfs verwendet.

In einer telefonischen Befragung im Auftrag der Bundesbank Anfang April wurde die geringere Bargeldnutzung beim Bezahlen vor allem mit Hygiene, Kontaktvermeidung und Infektionsschutz (53 Prozent) sowie mit Hinweisen vor Ort im Geschäft (25 Prozent) begründet. Die Schnelligkeit und eine praktische Handhabung hatten hingegen kaum Einfluß. Könnte dies als ein Indiz für eine gegebenenfalls Corona- bedingte Verhaltensänderung gelten, die nach der Krise umkehrbar sein wird?

Und: Wie steht es eigentlich mit der Infektionsgefahr bei Scheinen und Münzen? „Die Wahrscheinlichkeit, sich mittels Bargeld anzustecken, ist geringer als bei vielen anderen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens“, so Bundesbankvorstand Johannes Beermann. Dank eines Schutzlackes seien die besonders oft als Wechselgeld genutzten Fünfer und Zehner so beschaffen, daß sie kaum verschmutzen würden. Diese Auffassung bestärkte René Gottschalk, Infektiologe und Leiter des Gesundheitsamts der Stadt Frankfurt am Main, in der gemeinsamen Pressekonferenz Mitte März. Das Risiko einer Übertragung des Coronavirus über Banknoten sei nicht gegeben.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) erwähnt in ihrem Bulletin aus dem April ebenfalls zwei medizinische Studien aus den Jahren 2008 und 2020, die diese Aussagen unterstützen. Untersuchungen der Überlebensdauer von Coronaviren auf verschiedenen Oberflächen hätten nach der Studie von Neeltje van Doremalen (The New England Journal of Medicine 3/20) folgendes ergeben: Luft drei Stunden; Pappe 24 Stunden; Kupfer vier Stunden; Plastik/Karten 72 Stunden und Edelstahl 72 Stunden. Insbesondere glatte Oberflächen scheinen die Ansteckungsgefahr zu begünstigen. Rauhe Oberflächen und Kupfer, wie es in den verschiedenen Legierungen der Euromünzen eingesetzt wird, hemmt demnach die Verbreitung.

Laut dem BIZ-Bulletin sei die Gefahr einer Übertragung via Geldscheinen sogar geringer als etwa bei Kreditkartenterminals oder PIN-Eingabegeräten. Trotzdem nehmen einige Zentralbanken, nicht so die EZB, eine Quarantäne bzw. Sterilisierung des eingenommenen Bargeldes vor.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Sein neues Buch „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise“ (Springer Verlag 2020) liefert Analysen und zeigt Konzepte für einen Neuanfang auf.





Italienische Regierung gegen Bargeld

Wenn es um Menschen und Güter geht, kann es der EU nicht offen genug sein. Selbst bei der Corona-Pandemie kamen die Grenzschließungen viel zu spät. Geht es ums Bargeld, versteht Brüssel keinen Spaß – und das gilt nicht nur fürs Überschreiten der EU-Außengrenzen. Selbst wer mit 10.000 Euro Bargeld innerhalb des EU-Binnenmarktes reist, muß dies bei einer Kontrolle anmelden. Nur in Lettland, Litauen, Luxemburg, Österreich, Slowenien und Zypern gibt es bislang keine Höchstgrenzen für Bargeldzahlungen. In Deutschland sind „anonyme“ Bargeschäfte ab 10.000 und der Goldkauf ab 2.000 Euro verboten. In Italien sind seit Ende 2011 Barzahlungen auf unter 1.000 Euro beschränkt. Und im Juni hat Premier Giuseppe Conte angekündigt, die Corona-Krise zur „Digitalisierung“ zu nutzen – sprich: Bargeld als Zahlungsmittel soll Schritt für Schritt abgeschafft werden, um so angeblich Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung und Schattenwirtschaft wirksam zu bekämpfen. (fis)

 www.bundesbank.de/