© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Der Gläubiger ist inzwischen der Dumme
Wirtschaftsliteratur: Daniel Stelter analysiert die europäischen Volkswirtschaften in und nach der Corona-Pandemie / Was kommt? Was können wir tun?
Erich Weede

Daniel Stelter ist Makroökonom, Strategieberater und erfolgreicher Autor mehrerer Wirtschaftsbücher. Jetzt analysiert der 56jährige die Situation und die Herausforderungen, denen sich die deutsche und die europäischen Volkswirtschaften stellen sollten. Weil Stelter das Manuskript schon im April abgeschlossen hat, muß er unheimlich schnell gearbeitet haben. Von einem kleinen und für das Anliegen des Autors unerheblichen Fehler in bezug auf die Armutsquote in Afrika abgesehen, ist die Argumentation trotzdem sorgfältig, immer anregend und oft sogar zwingend.

Natürlich können die epidemologischen Einzelheiten nicht auf dem neuesten Stand sein. In den ersten zwei von zwölf Kapiteln, im siebten Kapitel („Risikopatient Eurozone“) und im neunten und zehnten Kapitel zu Deutschland beschäftigt er sich mit der Ausgangslage vor der Corona-Pandemie. Produktivitätsentwicklung und Wirtschaftswachstum waren schon vorher schlecht, wenn auch in Italien viel schlechter als in Deutschland. Fast überall in der Welt wuchsen die Schulden. Die lockere Geldpolitik der Notenbanken hat statt des Wachstums eher die Spekulation ermutigt und die Vermögenswertpreise (Aktien, Immobilien) in die Höhe getrieben.

In Deutschland fielen zwar trotz expandierender Sozialleistungen die expliziten Staatsschulden, aber es gab einen Investitionsstau (etwa marode Straßen und Schulen). Der Euro hat nicht zur erhofften Konvergenz der Volkswirtschaften geführt, sondern eher die Divergenz gefördert. Den Schwächeren fehlt das Abwertungsventil, das man durch Einführung von Parallelwährungen wiederherstellen könnte und sollte.

Italien, wo der starke Norden und der schwache Süden seit 1861 eine gemeinsame Währung haben, illustriert, wie schwierig es ist, über Zentralisierung, Transfers und Integration Leistungsschwächen zu überwinden. Die Politik in Europa reagierte auf die Pandemie mit Kurzarbeitergeld und Liquiditätshilfen für die Unternehmen. Wenn der Staat zunehmend Gläubiger und teilweise sogar Miteigner von Firmen wird, dann entfernen wir uns von einer dezentralen Marktwirtschaft. Außerdem stellt sich die Frage, ob und welche Unternehmen nach der Wiederbelebung des Wirtschaftslebens ihre Schulden überhaupt bedienen können. Stelter hätte staatliche Umsatzausfallzahlungen für sinnvoller als Kredite gehalten.

Monetarisierung der Staatsschulden

Die Staatsschuldenquote wird jedenfalls steigen, in Deutschland vielleicht auf 90 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wegen des europäischen und globalen Umfelds hält er nichts davon, die Schuldenlast über Steuererhöhungen, Vermögensabgaben oder Lastenausgleich in den Griff zu bekommen.

Deutschland werde die Monetarisierung der Schuldenlast nicht verhindern können und muß seine Interessen in dem auf mittlere bis lange Sicht wohl mit steigenden Inflationsraten verbundenen Umfeld vertreten, in das wir nun mal hineingeraten sind. Weder die süd­europäische Mehrheit in der EU und Eurozone, noch Amerikaner oder Japaner wollen mit Steuern und Sparen die Schulden in den Griff bekommen.

Es geht nur noch um die Gestaltung der Monetarisierung der Schuldenlast. Wie das Beispiel Japans in den 1930er Jahren illustriert, kann das sogar ohne größere Inflation gelingen. Auch wegen der mit der Klimapolitik verbundenen Entwertung mancher Kapitalgüter und des damit verbundenen Investitionsbedarfs in neue Kapitalgüter bei gleichzeitiger Ergrauung der Gesellschaften glaubt Stelter allerdings nicht, daß es jetzt ganz ohne Inflation ausgehen kann. Stelter betont, „daß es nicht intelligent ist zu sparen, wenn die Welt auf die Monetarisierung der Schulden setzt. Unter solchen Umständen ist der Gläubiger der Dumme“.

Bei der Monetarisierung der Staatsschulden kommt es für Stelter vor allem auf die gleiche Behandlung aller Länder an. Man könnte etwa für alle Länder Staatsschulden in Höhe von 75 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) monetarisieren. Danach hätte Deutschland vielleicht noch 25 Prozent, Italien vielleicht noch 102 Prozent des BIP Staatsschulden. Problem dieses Monetarisierungsgedankens ist, daß man das nicht wiederholen sollte, damit die Inflation nicht außer Kontrolle gerät. Obwohl Stelter mehrfach auf die höheren Privatvermögen in anderen europäischen Ländern verweist, hält er deutsche Solidarität zugunsten anderer, von der Pandemie schwer getroffener Länder für unvermeidbar. Er möchte dazu die ohnehin gefährdeten Target-2-Forderungen Deutschlands im Eurosystem heranziehen.

Dem deutschen Leser mutet Stelter viel zu: Problemlösung durch Monetarisierung von Schulden statt Austerität, Investitionen in Forschung und Innovation statt mehr Sozialleistungen, Abkehr von der Rolle des Exportweltmeisters mit im Ausland unprofitabel angelegtem Kapital, Besinnung auf staatliche und europäische Kernaufgaben statt kurzfristige Orientierung an gefälligen Scheinlösungen der Probleme. Gerade deshalb ist das Buch lesenswert.

Daniel Stelter: Coronomics. Nach dem Corona-Schock – Neustart aus der Krise. Campus-Verlag, Frankfurt 2020, 217 Seiten, broschiert, 18,95 Euro.






Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie an den Universitäten Köln, Bologna und Bonn. 1998 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft.

Ökonomen-Blog von Dr. Daniel Stelter:

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