© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Endlich glücklich leben
Minderheiten: Die Szekler hoffen auf Unterschriften aus Deutschland, Österreich, Belgien und Dänemark
Paul Leonhard

Ihre Fahnen sind gelb und blau. Sie zeigen eine goldene Strahlensonne und einen silbernen Sichelmond. Die Hufeisenformen der Torbögen der Bauernhöfe erinnern an ein wehrhaftes Reitervolk, die geschwungenen Formen an den Flügeln der Kirchentore an die gezwirbelten Schnurrbärte der Männer, die monumentalen hölzernen Stelen auf den Friedhöfen noch immer an die Lanzen, die einst an das Kopfende des Grabhügels gestorbener Krieger gesteckt wurden. Die Stelen der Frauen stehen dabei immer schräg, als würden sie seitlich aus der männlichen herauswachsen.

Ceausescu hat seine Mühe mit den Szeklern

Kein Zweifel, Kultur und Tradition sind im Südosten Siebenbürgens eine andere als im übrigen Rumänien. Hier ist Szekler-Land, eine Region mit ausgeprägten ethnischen, religiösen und kulturellen Merkmalen, dem die Regierung in Bukarest hartnäckig die Autonomie verweigert, dessen Existenz sie sogar abstreitet. Dabei sind die Szekler hier seit tausend Jahren zu Hause. Die älteste Chronik, in der über sie in Siebenbürgen berichtet wird, stammt aus dem Jahr 1116.

„Unsere Seelen zu brechen, wird niemals gelingen.“ So heißt es in der Hymne des Bauernvolkes. Sie erinnert „voller Bitternis unsere Jahrtausendgeschichte“, in der die Vorfahren von Tataren, Türken und Österreichern versklavt wurden, und wünscht, was jetzt die junge Generation durchsetzen möchte: „Mögen wir doch auf heimischem Grund, auf ungarisch-szeklerischer Erde, endlich im freien Vaterland glücklich leben!“

Ein Traum, den auch die deutschen Siedler in Rumänien geträumt haben, die Siebenbürger Sachsen, die Banaten und  Schwaben. Aber sie haben dem Druck des Staatsvolkes nicht stattgehalten, sind bis auf wenige nach Deutschland gezogen. Dabei war Rumänien das einzige Land in Stalins Reich, das im Gegensatz zu den Tschechen, Slowaken, Polen und Ungarn seine deutschen und ungarischen Minderheiten nach 1945 nicht außer Landes trieb und das sogar die von der Zwangsarbeit in der Sowjetunion Zurückkehrenden wieder aufnahm.

Heute zählt Rumänien offiziell 18 anerkannte Minderheiten. Aber keine ist so stolz, so aufbegehrend wie die rund 750.000 Szekler. Diese leben nicht etwa in einer Grenzregion, sondern in einem weitgehend geschlossenen ungarischen Siedlungsgebiet mitten in Rumänien. Hierher waren sie im Mittelalter von den ungarischen Königen gerufen worden, um als Wehrbauern die Grenze gegen die Türken zu verteidigen. Ihre militärischen Leistungen gelten als legendär. Sie wurden mit Sonder- und Autonomierechten belohnt, ein Teil der Bauernsoldaten sogar in den Adelsstand erhoben. Im Oktober 1506 riefen die Szekler ihre autonome Republik aus. Bis ins späte 18. Jahrhundert besaßen sie ein eigenes, vom ungarischen stark abweichendes Rechtssystem, bis 1867 eine mit den deutschsprachigen Siebenbürger Sachsen vergleichbare innere Autonomie.

Autonom blieben sie auch noch, als die entstandenen Nationalstaaten Rumänien und Ungarn um Siebenbürgen rangen. Die Szekler verteidigten ihre Scholle und ihre Rechte, auch als ihr Siedlungsgebiet 1920 durch den Trianon-Vertrag an Rumänien gelangte. Und auch als die in Bukarest an die Macht gelangten Kommunisten 1956 die zehn Jahre zuvor ausgerufene „Autonome Magyarische Region“ für nichtig erklärten und die Ungarn in der „neuen rumänischen Nation“ assimilieren wollten. Sie widerstanden, als Diktator Nicolae Ceausescu rumänische Lehrer und Beamte sowie den Geheimdienst schickte und ungarischsprachige Ortstafeln und Inschriften beseitigen ließ.

Das ländliche Szeklerland sorgte mit hinhaltender Bauernschläue in den Dörfern und Kleinstädten dafür, daß ansiedlungswillige Rumänen bald wieder das Weite suchten. Lediglich Großstädte wie Klausenburg (Cluj), Großwardein (Oradea) und Neumarkt (Tirgu Mures) konnten die Kommunisten durch eine systematische Assimilierungspolitik in rumänische Zentren verwandeln.

Als die Revolution 1990 die kommunistische Herrschaft, teilweise blutig, beseitigte und Diktator Ceausescu kurzerhand an die Wand gestellt und erschossen wurde, drohte es zwischen ethnischen Rumänen und Ungarn zu einem gewalttätigen Konflikt zu kommen. Treibende Kraft war der Kulturbund „Vatra Romaneasca“ (Rumänische Heimstätte), der Rassen- und Völkerhaß schürte und in dessen Programmschrift vom 20. Februar 1990 es heißt: „Es ist der Augenblick gekommen, die Probleme der Minderheiten, auf welche Weise auch immer, endgültig, unumkehrbar und sicher zu lösen. Leider wird der heilige rumänische Boden noch immer von den asiatischen Füßen der Hunnen (soll heißen: Ungarn), Zigeunern und anderer Lumpen besudelt. Jagen wir sie gemeinsam aus dem Land!“

Eine Ausrufung einer Autonomen Magyarischen Region hätte wohl zur offenen Eskalation mit dem sich in einem Findungsprozeß befindlichen Rumänien geführt, weswegen ungarische Persönlichkeiten wie der Temeswarer Bischof Laszlo Tökes, der durch seinen Widerstand im Dezember 1989 Ceausescus Sturz auslöste, zur Mäßigung und zum Abwarten aufriefen: Vielleicht sei jetzt nicht der richtige Moment, die Autonomie einzufordern. Komme die Demokratie, löse sich auch die Minderheitenfrage.

Tatsächlich erhielten die Ungarn seitdem einige ihrer Schulen zurück, dürfen wieder in ungarischer Sprache unterrichten, konnten Vereine, Theater, Zeitungen gründen. Nur die angestrebte Autonomie nach dem Vorbild Südtirols erhielten sie nicht. Auch ist die ungarische Sprache in ihrem Siedlungsgebiet noch immer nicht der rumänischen gleichgestellt. Die Szekeler-Flagge auf Volksfesten und Demonstrationen zu zeigen, ist nicht verboten, lediglich ihr Hissen an öffentlichen Gebäuden.

Hissen der Flagge erzürnt Rumänen 

In Bukarest, wo die Regierung der Meinung ist, daß das Land die höchsten europäischen Standards bei Minderheitenrepräsentation bzw. lokalen Autonomierechten habe, fühlte man sich von Ungarn zunehmend provoziert, seit der ungarische Regierungschef Viktor Orbán eine Forderung von Bischof Tökes, inzwischen Mitglied des Europäischen Parlaments für die Demokratische Union der Ungarn in Rumänien (UDMR), aufgegriffen hat, der den „großen Bruder Ungarn“ aufgefordert hatte, „die Rolle eines Protektors für uns Auslandsungarn“ zu übernehmen. Orbán setzte daraufhin das Recht auf die ungarische Staatsbürgerschaft durch. Mehr als 400.000 der rund eine Million in Rumänien lebenden Ungarn sollen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben.

Als sich wegen der als „staatfeindlicher Akt“ gewerteten Hissung der Szeklerfahne 2013 die Situation zuspitzte, veröffentlichte der Pester Lloyd. Tageszeitung für Ungarn und Osteuropa einen lesenswerten Beitrag unter der Überschrift „Zoff im Märchenland“. 

Und der aus dem Szeklerland stammende Leser Attila Fülöp kommentierte: „Was würde passieren, wenn das Szeklerland eine Autonomie nach dem Vorbild Südtirols bekäme? Nichts! Außer dem Hissen der Flagge, vielleicht mehr Unabhängigkeit auf dem Finanz- und Bildungssektor, bleiben wir loyale Staatsbürger Rumäniens. In Bozen kräht kein Hahn, wenn auf einem öffentlichen Gebäude die Südtiroler Flagge weht. Das sollte in Rumänien auch möglich sein. Vielleicht nicht heute, nicht morgen, aber für die nächste Generation.“

Die Szekler vertreten inzwischen mit ihrem Szekler-Nationalrat (SZNT) nicht mehr allein die eigenen Interessen, sondern die aller Minderheiten Europas. „Die territoriale Teilung Europas im 20. Jahrhundert (hauptsächlich im Interesse der Großmächte) und die häufigen Veränderungen der Staatsgrenzen haben Dutzende Regionen und Gemeinschaften geschaffen, die sich in ihrer Kultur und ihren ethnischen Merkmalen von den umliegenden Regionen unterscheiden“, erinnert der Journalist und Vizepräsident des Szekler-Nationalrates Csaba Ferencz in einem Aufruf.

Eine Bürgerinitiative will durchsetzen, daß die Europäische Union „Regionen, welche sich durch nationale, ethnische, kulturelle, religiöse oder sprachliche Eigenheiten auszeichnen, besondere Aufmerksamkeit“ widmet. Gefordert wird eine Garantie, daß diese Regionen „gleichberechtigten Zugang zum Strukturfonds und zu allen anderen EU-Fonds, Ressourcen und Programmen“ erhalten.

Nach sechs Jahren juristischer Vorbereitung wurde der Antrag eingereicht, vom zuständigen EU-Ausschuß abgelehnt und dann erfolgreich eingeklagt. Am 7. Mai 2019 begann das Sammeln von Unterstützerunterschriften. 1,2 Millionen kamen zusammen, 200.000 mehr als erforderlich und doch zu wenig. Denn es gilt, eine Mindestanzahl von Unterschriften pro Land zu erreichen, und diese wurde nur für Rumänien, Ungarn und die Slowakei erfüllt.

„Der Grund waren die eingeführten restriktiven Maßnahmen sowie die Nachrichten über die Pandemie, die den Medienraum „besetzt“ hielten“, schreibt Csaba Ferencz. Eine Argumentation, der Brüssel folgte. Den Initiatoren wurde eine Frist bis zum 7. November eingeräumt, um ausreichend Unterschriften in mindestens vier weiteren Ländern zu sammeln.

Schleswig-Holstein signalisiert Unterstützung 

Zwischenzeitlich schien es, als würde Bukarest den Szekler einfach die Autonomie schenken. Anfang Mai überraschte eine Meldung, nach der die Abgeordnetenkammer dem Autonomiestatus für das Szeklerland zugestimmt habe, weil 60 Tage lang keine Debatte zu einer entsprechenden Gesetzesvorlage anberaumt worden war, die damit – eine Besonderheit im rumänischen Recht – automatisch als angenommen galt. Tags darauf schmetterte allerdings der Senat die Vorlage in einer Dringlichkeitssitzung mit 126 Nein- und neun Ja-Stimmen ab. Für die Szekler eine erneute Demütigung.

Die Szekler hoffen jetzt insbesondere auf die Solidarität der deutschsprachigen Länder und Regionen Deutschland, Österreich, Belgien und Dänemark. Unterstützung kam bereits aus Schleswig-Holstein. Ministerpräsident Daniel Günther bat seine Parteifreundin Angela Merkel, die Rolle der Minderheiten und Volksgruppen während der Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft besonders zu berücksichtigen.