© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/20 / 07. August 2020

Die Karten werden neu gemischt
Lange Traditionslinie: Eine Neue Weltordnung soll die Folgen der Pandemie abfedern
Felix Dirsch

Wer sich mit dem Thema „Neue Weltordnung“ beschäftigt, wird schnell mit Verschwörungstheorien in Verbindung gebracht – und das nicht von ungefähr: Seit der Epoche der Aufklärung wird freimaurerischen (und später auch zionistischen) Organisationen unterstellt, als Drahtzieher im Hintergrund die Weltregierung an sich reißen zu wollen. Verschwörungsgläubige versuchen gern, simple Erklärungen für angebliche Machinationen in Hinterzimmern mit großen Auswirkungen zu präsentieren. Wenige bestimmen demnach die Pläne für viele.

Von solchen haltlosen Spekulationen sind die Initiativen zu unterscheiden, die stets nach großen Zäsuren das Verhältnis von universaler Ebene und Einzelstaaten neu justieren wollen. Nach dem Ersten Weltkrieg etwa sollte der Genfer Völkerbund in Umsetzung der Ideen Immanuel Kants garantieren, daß das Recht zur „Organisation der Menschheit und damit eins mit der höchsten sittlichen Idee“ werde, wie es einer der Vordenker dieser Einrichtung – der österreichische Jurist Hans Kelsen – treffend formuliert hat.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schränkten die UN das Recht der Staaten auf Gewaltanwendung ein. Hier liegt ein maßgeblicher Einschnitt in der Geschichte der neuzeitlichen Staatenwelt. Der Hobbessche Naturzustand des Krieges aller gegen alle sollte auch auf der internationalen Ebene beendet werden. Den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates (USA, Frankreich, China, Rußland und das Vereinigte Königreich) mit Vetorecht und den zehn nichtständigen Mitgliedern kommt daher nach verbreiteter Meinung die Aufgabe einer Weltpolizei zu. Dabei gilt die Beachtung der Menschenrechte als vorrangig.

1991 verkündete US-Präsident George W. H. Bush eine Neue Weltordnung unter Führung der „einzigen Weltmacht“ (Zbigniew Brzezinski). Eckpfeiler sollten der freie Welthandel und die universelle Durchsetzung der Menschenrechte sein. Um 2000 legten der US-Literaturwissenschaftler Michael Hardt und der italienische Politologe Antonio Negri eine weltweit beachtete Bilanz in dem Buch „Empire“ vor. Darin werden die Widersprüche des weltumspannenden Kapitalismus herausgestellt und die Sollbruchstellen dieses Weltreiches ohne Zentrum mit gleichwohl umfassendem Herrschaftsanspruch hellsichtig aufgezeigt.

Seit einigen Jahren wächst die Kritik an diesem Konstrukt. Als maßgebliche Gegenbewegung gipfelte der vielschichtige Populismus 2016 in der Wahl Donald Trumps und in der Entscheidung der britischen Mehrheit für den Brexit.  Im Rahmen der Debatten, die von der Stiftung des kanadischen Unternehmers Peter Munk und seiner Frau Melanie initiiert wurden, standen sich 2017 der US-Journalist Fareed Rafiq Zakaria und der an der Harvard-Universität lehrende Historiker Niall Ferguson gegenüber. Letzterer attackierte die freiheitliche Weltordnung überraschend deutlich. Er sah China als den großen Nutznießer, die Mittelschichten vieler westlicher Staaten als tendenzielle Verlierer der Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte. Zakaria wandte dagegen ein: Vor allem die Zahl der weltweit Ärmsten sei deutlich gesunken, auch aufgrund verbilligter Kredite an ärmere Staaten. Die freiheitliche Weltordnung werde von einer Mehrzahl zumindest der jüngeren Bewohner der westlichen Staaten klar befürwortet. 

Daß die Corona-Zäsur und deren unabsehbare Folgen eine Neuauflage alter Debatten über die Neue Weltordnung mit sich brachten, kann nicht überraschen. Bereits 2016 belegte der Publizist Peter Orzechowski („Durch globales Chaos in die Neue Weltordnung“) ausführlich, inwiefern der Übergang in eine Neue Weltordnung nicht ohne große Konfusion vor sich gehen könne. Einer der Initiatoren der Bilderberger-Konferenz, der Multimilliardär David Rockefeller, hatte bereits in einer aufsehenerregenden Rede 1994 auf die Rolle des Chaos für die Akzeptanz einer Neuen Weltordnung verwiesen. 

Soros sieht revolutionäres Moment in der Krise

Bald nach Eintritt des Lockdowns sahen etliche Anhänger eines globalen Zentralismus ihre Stunde gekommen. Von dem Spiegel-Journalisten Bernhard Zand bis zum früheren britischen Premierminister Gordon Brown wurden Argumente dafür vorgebracht, warum nur eine Weltregierung für eine gerechtere Verteilung der inzwischen noch knapperen Ressourcen sorgen könne. Auch der umstrittene US-Unternehmer George Soros wußte um das Geschenk der Stunde. Er nahm ein „revolutionäres Moment“ in der Krise wahr, da sie es ermögliche, das „Unvorstellbare“ zu erreichen. Einige vatikanische Würdenträger erhoben in dem Schreiben „Veritas liberabit vos“ gegen solche Eine-Welt-Pläne Einspruch.

Nach den Lockerungen der Corona-Maßnahmen nimmt die Debatte über eine Neue Weltordnung weiter an Fahrt auf. Nicht erstaunlich ist, daß der UN-Generalsekretär seine Stimme erhoben hat. António Guterres spricht vom „Grand Reset“. Weitreichende Reformen sollen die offenkundigen Ungerechtigkeiten beseitigen. Ärmere Staaten bedürften einer stärkeren Beteiligung an weitreichenden Entscheidungen. Folgender Satz ragt aus seiner Grundsatzrede heraus: „Ein neues Modell für globale Regierungsführung muß auf einer vollständigen, integrativen und gleichberechtigten Beteiligung an globalen Institutionen beruhen.“ Statt des Zieles einer Weltregierung spricht er von „globaler Regierungsführung“. Welche Institution dem Portugiesen zufolge die Welt regieren soll, liegt auf der Hand. Weiter will er vermeintlich Marginalisierte – besonders Frauen und Farbige – in die geplanten Neustrukturierungen einbeziehen. Daß sich eine Sonderorganisation der UN, die WHO, beim Kampf gegen die Ausbreitung von Covid-19 nicht mit Ruhm bekleckert hat, verschwieg Guterres. Die von den Eliten erhoffte Neuausrichtung wurde unlängst auch vom Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, in dem Buch „Covid-19: The Great Reset“ (verfaßt zusammen mit Thierry Malleret) thematisiert.

Kürzlich äußerte sich auch der frühere US-Außenminister Henry Kissinger, Verfasser der vielbeachteten Untersuchung „Weltordnung“. Die Pandemie werde alles auf den Kopf stellen, so der Politiker. Auf der großen Ebene ist das freilich noch nicht klar. Wird der Aufstieg Chinas gebremst? China versuchte ebenso wie Rußland, durch Lieferung von Hilfsgütern Stärke zu demonstrieren. Das taten beide Länder aber auch schon vor den Ereignissen. Unsicher ist auch, ob weltpolitisch die zentrifugalen oder die zentripetalen Kräfte neuen Schwung erhalten. Unstrittig eignet sich die Brüsseler EU-Zentrale mehr Befugnisse an, obwohl sie während des Shutdowns kaum aufgefallen ist. Ob mit einem Machtzuwachs für die UN zu rechnen ist, bleibt unklar. Entscheidend wird wohl der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen im November sein. Eine Wahl des Demokraten Joe Biden würde den Globalisten in die Hände spielen. Sie hätten dann die Chance, Projekte wie das Pariser Klimaschutzabkommen doch noch umzusetzen. Für die großen Transformationspläne sähe es dann schon wieder besser aus.